Dr. Winfried Keuthage, Dr. Hansjörg Mühlen

App auf Rezept – gibt es Diabetes-DiGAs?

„Apps auf Rezept“ können seit mehr als einem Jahr in Deutschland zulasten der gesetzlichen Krankenkassen verordnet werden. Zulassung und Verordnung dieser digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGAs) sind unter anderem im „Fast-Track-Verfahren“ des Bundes­instituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) geregelt. Auch in der Diabetologie gibt es bereits DiGAs.

Seit mehr als einem Jahr können in Deutschland, als erstem Land weltweit, „Apps auf Rezept“ zulasten der gesetzlichen Krankenkassen verordnet werden. Geregelt ist die Zulassung und Verordnung dieser digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGAs) unter anderem im „Fast-Track-Verfahren“ des Bundes­instituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Eine DiGA ist ein digitales Medizinprodukt in den Händen von Patienten.

DiGA-Verzeichnis des BfArM

Maßgeblich für die Verordnungsfähigkeit ist die Aufnahme der DiGA in das DiGA-Verzeichnis des BfArM. Der DiGA-Hersteller beantragt die Aufnahme beim BfArM. Daraufhin hat das BfArM drei Monate Zeit für die Bewertung. Dabei prüft das BfArM die Herstellerangaben zu den geforderten Produkteigenschaften sowie die Nachweise zu den positiven Versorgungseffekten. Wenn bei Antragstellung noch kein Nachweis über die positiven Versorgungseffekte vorliegt, kann der Hersteller einen Antrag auf vorläufige Aufnahme in das Verzeichnis stellen und den Nachweis innerhalb von einem Jahr (in Ausnahmefällen zwei Jahren) nachreichen.

Nachweis positiver Versorgungseffekte

Mit positiven Versorgungseffekten ist gemeint, dass es entweder einen medizinischen Nutzen oder patientenrelevante Struktur- und Verfahrensverbesserungen in der Versorgung geben muss. Medizinischer Nutzen wiederum bedeutet, dass sich ein patientenrelevanter Effekt insbesondere hinsichtlich der Verbesserung des Gesundheitszustands, der Verkürzung der Krankheitsdauer, der Verlängerung des Überlebens oder einer Verbesserung der Lebensqualität ergibt.

Medizinischer Nutzen können z. B. ein ­besserer Gesundheitszustand oder ­eine bessere ­Lebensqualität sein.

Patientenrelevante Struktur- und Verfahrensverbesserungen in der Versorgung sind beispielsweise im Rahmen des Erkennens, Überwachens, Behandelns oder Linderns von Krankheiten auf das Unterstützen des Gesundheitshandelns der Patienten ausgerichtet.

Ähnliches gilt analog für Verletzungen oder Behinderungen. Der Nachweis positiver Versorgungseffekte muss ohne den Einsatz von Zusatzangeboten (wie Coaching) geführt werden.

Abgrenzung zu Gesundheits-Apps

Eine Gesundheits-App erfüllt dann nicht die Anforderungen an eine DiGA, wenn sie lediglich der Prävention von Krankheiten dient. Dies ist beispielsweise bei den Gesundheits-Apps der Fall, welche häufig auf Betriebssystemen und Smartphones vorinstalliert sind (siehe Kasten).

Vergleichende Studien sind notwendig

Für die dauerhafte Aufnahme ins DiGA-Verzeichnis muss in quantitativen vergleichenden (retrospektiven oder prospektiven) Studien nachgewiesen werden, dass die Anwendung der ­DiGA einen positiven Versorgungseffekt hat. Als Vergleichsarm kommt eine Nichtbehandlung oder eine Behandlung ohne digitale Gesundheitsanwendung in Frage, sofern dies der Versorgungsrealität entspricht. Alternativ ist auch der Vergleich mit der Behandlung mithilfe einer anderen vergleichbaren DiGA möglich. In diesem Fall muss die andere DiGA zum Zeitpunkt der Antragstellung zur Aufnahme ins DiGA-­Verzeichnis bereits endgültig gelistet sein.

Die Anwendung ­einer ­DiGA muss einen ­positiven Versorgungs­effekt haben.

Die Studien haben in Deutschland zu erfolgen oder aber die Übertragbarkeit auf den deutschen Versorgungskontext muss belegt werden.

DiGA-Anwärter und deren Studienlage

Aufgrund hoher Anforderungen an DiGAs und des aufwendigen Zulassungsprozesses beim BfArM streben bisher nur vergleichsweise wenige Hersteller von Diabetes-Apps die Zulassung als DiGAs an. Als erste Diabetes-App (Stand Ende Oktober 2021) wurde die ESYSTA-­App im August 2021 in das DiGA-Verzeichnis des BfArM aufgenommen. Mehrere weitere Anwärter streben die Aufnahme ins DiGA-Verzeichnis an und die Hersteller führen vergleichende Studien zum Nachweis positiver Versorgungseffekte durch.

ESYSTA ist die erste Diabetes-DiGA

Die ESYSTA-App integriert neben einfacher manueller Eingabeoption auch Daten aus smarten Insulin-Pens und Blutglukose-Messgeräten.

Die ­ESYSTA-App ­erlaubt die ­Anbindung von Pens, ­Messgeräten und ­Software von ­Drittanbietern.

Die Nutzerinnen und Nutzer erhalten mit einem Ampel-Algorithmus und einem 7-Tage-Trend einen schnellen Überblick über die eigenen Gesundheitsdaten. Optional können die Patientinnen und Patienten die Daten mit ihrem jeweiligen behandelnden Arzt teilen. Der Arzt wiederum kann in einem Cloud-basierten Portal die Daten aller seiner teilnehmenden Patienten gleichzeitig überblicken. Patienten mit Typ-2-Diabetes, die kein Insulin spritzen, gehören nicht zur Patientengruppe, die die ­ESYSTA-App nutzen soll. Geeignete Nutzerinnen und Nutzer sind Erwachsene ab 18 Jahren. Für nachhaltige Effekte empfiehlt der Hersteller eine dauerhafte Nutzung. Die ESYSTA-App hat offene Schnittstellen und erlaubt die Anbindung von smarten Insulin-Pens, Blutglukose-­Messgeräten und Software von Drittanbietern, welche ausdrücklich eigeladen sind, sich daran zu beteiligen.

Studien zum klinischen und ­ökonomischen Nutzen der ESYSTA-App

Die ESYSTA-App wurde in einer Pilot-Studie [Schildt 2013] mit mehr als 200 Menschen mit Diabetes getestet, die signifikante Verbesserungen in der Diabetesbehandlung dokumentierte. Neben einer hohen Akzeptanz, auch in den höheren Altersgruppen, konnten Kosten-Einsparungen ermittelt werden [Sand 2019]. Anwendungsbeobachtungen belegen den medizinischen Nutzen der ESYSTA-App. Der HbA1c-Wert sank hier im Durchschnitt um 0,9 %.

Aktuell läuft eine randomisierte, kontrollierte, prospektive Studie an, um die Wirksamkeit der ESYSTA-App zum Absenken des HbA1c-Werts bei Patientinnen und Patienten mit Diabetes mellitus zu zeigen. Der Interventionszeitraum der Studie beträgt 6 Monate.

Primärer Endpunkt sind Veränderungen des HbA1c-Werts. Dazu werden mindestens 166 Patientinnen und Patienten mit Diabetes gesucht, die in eine Kontroll- und eine Interventionsgruppe randomisiert werden. Die Kontrollgruppe erhält eine Standardversorgung nach Leitlinien der Deutschen Diabetes Gesellschaft und Disease-Management-Programm-Richtlinien und die Interventionsgruppe die gleiche Versorgung wie die Kontrollgruppe plus eine zusätzliche Therapieunterstützung durch die ESYSTA-­App. In die Studie werden Patientinnen und Patienten mit Diabetes mellitus eingeschlossen, wenn ihr HbA1c-Wert in einem Bereich von 7,5 bis 11,0 % liegt. Dieser HbA1c-Bereich entspricht der Zielgruppe, für die die ESYSTA-App als DiGA aufgenommen wurde. Die Patientinnen und Patienten werden unabhängig von der bestehenden Diabetesdauer eingeschlossen. Es können auch neu diagnostizierte Diabetes-­Patientinnen und -Patienten mit Insulintherapie teilnehmen. In drei Visiten (Start, 3 Monate, 6 Monate) werden die klinischen Endpunkte kontrolliert.

ESYSTA-Produktsystem mit ­jahrelanger Erfahrung

Das ESYSTA-Diabetesmanagement-Plattform-System wurde von Ärzten entwickelt, ist regional in Nordostdeutschland eingeführt und hat derzeit mehr als 3500 registrierte Benutzer, die auch die vernetzten Hardware-Komponenten von ESYSTA nutzen. Die Hardware-Komponenten sind bereits in das Hilfsmittelverzeichnis der gesetzlichen Krankenversicherungen aufgenommen und werden erstattet. Zusätzlich unterhält das Unternehmen Emperra zwei Selektiv­verträge mit der AOK Nordost und der IKK Brandenburg und Berlin. Ein Coaching-System bietet in den Selektivverträgen Patientinnen und Patienten Hilfestellung beim Umsetzen ihrer Therapie.

myDose Coach zur Titration des ­Basalinsulins

Die Diabetes-App myDose Coach wird aktuell in einer Studie evaluiert, um die dauerhafte Aufnahme in das DiGA-Verzeichnis zu erreichen. myDose Coach wurde entwickelt für erwachsene Patienten mit Typ-2-Diabetes, die einmal täglich ein langwirkendes Basalinsulin injizieren, unabhängig davon, ob dazu noch orale Antidiabetika eingenommen werden. Die App myDose Coach unterbreitet den Patienten in Abhängigkeit von den gemessenen Nüchtern-Blutglukosewerten Empfehlungen für die Dosierung des Basalinsulins. Der von der App benutzte Titrations-Algorithmus und damit die vorgeschlagene Insulindosis wird vom behandelnden Arzt im Vorfeld individuell für den jeweiligen Patienten festgelegt. myDose Coach besteht aus zwei Komponenten und umfasst das Webportal myDose Coach für medizinisches Fachpersonal und die App myDose Coach für Patienten.

Webportal myDose Coach für die ­Behandelnden

Hier verwalten und managen die behandelnden Ärztinnen und Ärzte ihre Patientinnen und Patienten. Nachdem eine Patientin/ein Patient im Webportal angelegt oder registriert ist, wird ein individueller Dosierungsplan (Titrations-Schema) erstellt. Über das Webportal können die Ärzte außerdem den Behandlungsfortschritt der Patienten überprüfen und den Dosierungsplan bei Bedarf anpassen. Die Einstellungen bzw. Titrations-Empfehlungen aus dem Webportal werden direkt auf das Smartphone des jeweiligen Patienten übertragen und in der App angezeigt. Alle Eingaben, welche die Patienten in die App eingeben, werden automatisch in das Webportal übertragen. So ist der jeweilige Arzt jederzeit in der Lage, die Therapie der Patienten zu überwachen und ggf. korrigierend einzugreifen. Wenn der Arzt den Dosierungsplan aktualisiert oder ändert, wird der aktualisierte Dosierungsplan an den entsprechenden Patienten gesandt und der Patient erhält eine SMS mit einem Link zum Update. Der Patient tippt auf den Link, meldet sich an und der Dosierungsplan wird automatisch aktualisiert.

Die App myDose Coach für die ­Patienten

Die App myDose Coach gibt Patientinnen und Patienten mit Typ-2-Diabetes Empfehlungen zur täglichen basalen Insulindosis. Voraussetzung ist, dass der jeweilige Patient im Webportal des Arztes angelegt ist und eine einmalige (bzw. erstmalige) Anmeldung erfolgte (durch Aktivieren des Bestätigungslinks). Die verschiedenen Funktionen, mit denen die App ­myDose Coach Patienten bei der Titration des Basal­insulins unterstützt, sind in Tabelle 1 zusammengefasst.


Das bietet die App myDose Coach:

  • Erinnerung an das Messen des Nüchtern-­Blutzuckerwerts (innerhalb eines Zeitintervalls von ± 3 Stunden zu dem vom Arzt vorgegebenen Messzeitpunkt)
  • Aufforderung zur Eingabe des gemessenen Nüchtern-Blutzuckerwerts (Dokumentation)
  • ggf. Hinweis auf niedrigen gemessenen Blutzuckerwert (Hypoglykämie-Warnfunktion)
  • automatische Berechnung der Basalinsulin-­Dosis anhand des vom Arzt festgelegten Titrations-Schemas (Dosierungs-Empfehlung)
  • Aufforderung zur Eingabe der injizierten Basalinsulin-Dosis (Dokumentation)
  • Möglichkeit, bei Unsicherheit über die Titration oder die Messwerte mit dem Arzt in Kontakt zu treten (Share-Funktion)
  • direkte Übertragung der vom ­Patienten eingegebenen Therapiedaten (Nüchtern-­Blutzuckerwerte, Insulindosis) an das behandelnde Diabetes-Team (Webportal)
  • bei Änderung des Titrations-Schemas durch den Arzt: Aufforderung zur Aktivierung des neuen Schemas (per Aktivierungslink)

MyDose Coach unterstützt gleichermaßen Patienten und behandelnde Ärzte bei der optimalen Insulintitration, indem myDose Coach den Titrations-Prozess begleitet und Fehlermöglichkeiten reduziert. Dies dürfte insbesondere beim Start einer BOT, bei der einerseits die Bedenken gegenüber einer Insulintherapie noch ausgeprägt sind und andererseits noch geringe Erfahrung im Umgang mit der Insulintherapie und der Titration besteht, vorteilhaft sein.

mySugr

Mit mySugr ist eine bereits seit längerer Zeit bekannte Diabetes-App auf dem Weg, sich als ­DiGA zertifizieren zu lassen. MySugr PRO ist eine Dia­betes-Management-App mit digitalem Diabetes-Tagebuch. Sie zielt darauf ab, Menschen mit Diabetes bei Therapieentscheidungen im Alltag zu unterstützen und damit zu einer erhöhten Patienten-Souveränität und verminderten Krankheitslast zu verhelfen. Ermöglicht wird dies durch die Unterstützung beim täglichen Diabetes-Selbstmanagement, ein vereinfachtes Monitoring und Feedback über Blut­glukose­daten und andere relevante Therapiedaten sowie den Einsatz von Motivations- bzw. Gamifizierungs-Elementen („spielerisches Lernen“). Die App ­mySugr PRO unterstützt die Nutzer beim Dokumentieren und Verarbeiten von Therapie- und Glukosedaten. Daneben bietet mySugr PRO verschiedene Funktionen wie das Errechnen des geschätzten HbA1c-Werts aus den Glukosedaten oder Erinnerungs-Funktionen, welche die Patienten beim täglichen Dia­betes-Management unterstützen.
Im Vergleich zu analogen Blutzucker-Tagebüchern erleichtert mySugr PRO den Patienten die im Alltag zu treffenden Therapie-Entscheidungen und -Anpassungen. Alle Daten stehen zum Download bereit und können direkt aus der App per Mail versandt werden. Auf dieser Grundlage können informierte Gespräche zwischen Menschen mit Diabetes und ihren Behandlungs-Teams erleichtert werden. Die App mySugr PRO macht keine Therapievorschläge, sondern hilft, Glukoseverläufe zu interpretieren und die Therapie an die aktuellen Glukosewerte anzupassen.


Funktionen der App mySugr

Daten, die automatisiert eingelesen oder manuell erfasst werden können:

  • Blutglukosewerte
  • Bolusinsulin-Dosen für Mahlzeiten und Korrektur
  • Basalinsulin-Dosen
  • Medikamente (z. B. eingenommene Tabletten)
  • aufgenommene Kohlenhydrate
  • HbA1c-Werte
  • Ketone
  • Körpergewicht
  • Blutdruckwerte
  • Dauer und Beschreibung von Aktivitäten
  • Anzahl der Schritte
  • Hinzufügen von Mahlzeitenfotos
  • Beschreibung der Mahlzeiten
  • Hinterlegen von verwendeten Zutaten
    (z. B. Hülsenfrüchte, Obst)

Im Menü „Profil & Einstellungen“ können erfasst werden:

  • Diabetes-Typ
  • Art der Diabetes-Therapie
  • Angabe der verwendeten Insuline
  • individuell einstellbare Zielbereiche und ­individuelle Grenzwerte für Hyper- und ­Hypoglykämie
  • Basalinsulin: Uhrzeit und verabreichte ­Einheiten
  • Insulin-Korrekturfaktor
  • Kohlenhydrat-Faktor
  • Glukose-Zielwert
  • Tabletten

Blutglukosewerte können automatisch aus folgenden Messgeräten in mySugr PRO übertragen werden:

  • Accu-Chek Guide
  • Accu-Chek Mobile (mit Wireless-Adapter)
  • Accu-Chek Aviva Connect
  • Ascensia Contour Next One
  • Beurer GL 50 evo

mebix: Lebensstiloptimierung bei Typ-2-Diabetes

Die App mebix wurde im vierten Quartal 2021 für Menschen mit manifester kardiovaskulärer Erkrankung vorläufig in das DiGA-Verzeichnis aufgenommen. Die Aufnahme für weitere Patientengruppen wird angestrebt, weswegen im vierten Quartal eine Pilotstudie für Menschen mit Diabetes mellitus Typ 2 angelaufen ist. In der Hand der Patienten soll mebix kardiovaskuläre Risikofaktoren verbessern, indem die App an die Medikamenten-Einnahme erinnert, Lebensstil-Optimierung unterstützt sowie Aktivitäten, Bewegung und Ernährung modifiziert.

Zugleich kann der verschreibende Arzt eine aktive Rolle als Behandler einnehmen. Wenn Patienten mebix nutzen, kann der betreuende Arzt mittels Cloud-basierten Therapiemanagers aus mehreren voreingestellten Therapiepfaden den für den entsprechenden Patienten am besten geeigneten wählen. Jedem Therapiepfad sind spezifische Aufgaben hinterlegt, z. B. die Anzahl der Blutglukose-Selbstkontrollen pro Woche. Das Anleiten übernimmt die App, indem zu jeder Aufgabe eine Einführung in Form eines Informationsfilms hinterlegt ist. Über den Therapiemanager kann der Arzt, wenn gewünscht, die vom Patienten erhobenen Daten einsehen. Der Arzt hat im Therapiemanager alle seine eingeschriebenen Patienten und deren Daten im Blick, wobei Farb-Codes kritische Daten kenntlich machen. Außerdem kann der Arzt Aufgaben und Mediadaten (z. B. Filme, Informationen, Einladungen) zuweisen.

Kommentar der Autoren zu den ­aktuellen gesetzlichen DiGA-Vorgaben

Es scheint fast so, als wenn in Deutschland der Mangel bei der Entwicklung der Digitalisierung dadurch kompensiert werden soll, dass Deutschland das erste Land ist, dass Apps als medizinische Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung anbietet. Bei der Bewertung der aktuellen DiGA-Gesetzgebung ist die rasante Geschwindigkeit der Gesetzgebung zu berücksichtigen.

DiGA selbst – in den Händen des ­Patienten – muss einen Nutzen haben?

Ein wesentliches Kriterium für die Anerkennung einer DiGA ist, dass sie allein durch die Anwendung des Patienten einen medizinischen Nutzen für den Patienten generiert. So ist auch zu erklären, dass die Nutzenbewertung einer ­DiGA analog zur Bewertung von z. B. Medikamenten erfolgt. Hier haben die Regulationsbehörden auf bekannte Verfahren zurückgegriffen, wie insbesondere die Anforderung, in randomisierten Studien einen Zusatznutzen nachzuweisen. Dadurch entfallen a priori viele Möglichkeiten von digitalen Anwendungen, da das Unterstützen und Ergänzen von Behandlungs-Prozessen, das automatisierte Generieren und Übersenden von Daten (z. B. auch für die Versorgungsforschung), das Verbessern von organisatorischen Prozessen sowie der Arzt-Patienten-Kommunikation nicht zulässig sind.

Krankenkassen können DiGAs ohne ärztliche Mitwirkung abgeben

DiGAs sind somit primär kein Bestandteil der ärztlichen Behandlungs-Strategie und können von Krankenkassen ohne Mitwirkung und ohne Information des behandelnden Arztes abgegeben werden. Behandler bekommen keine Information über die Nutzung der App durch den Patienten und haben in der Regel keinen Zugriff auf die in der App generierten Daten. Datenaustausch in Form digitaler Datenbanken ist primär nicht vorgesehen. Es besteht kein Konzept zur Interoperabilität.

Welche Pflichten haben Ärzte?

Bisher ist unklar, ob Ärzte – analog verschreibungspflichtigen Medikamenten – eine Fortbildungspflicht in Bezug auf Funktionen und Inhalte von DiGAs haben, da diese von Krankenkassen direkt abgegeben werden können. Auch wenn es primär so vorgesehen ist, wird nicht jede DiGA selbsterklärend sein. Wer ist für die Schulung der Patienten zuständig? Wer hilft bei technischen Problemen? Nicht jede DiGA wird per se die Behandlung vereinfachen bzw. Zeit auf Seiten des Arztes einsparen. Die Frage der Honorierung des zusätzlichen Aufwands des Arztes ist nicht abschließend geklärt.

Anforderungen an DiGAs aus ärztlicher Sicht

DiGAs sollten die Behandlung da ergänzen, wo es bisher Lücken gibt, wie bei fehlenden kontextbezogenen Informationen. Ärzte sollten Daten erhalten, die sie bisher nicht bekommen konnten, um Behandlungs-Strategie und -Anwendung überwachen zu können. Wünschenswert wären auch integrierte Tools zum Verbessern der Arzt-Patienten-Kommunikation und zum Optimieren der individuellen ärztlichen Behandlungs-Strategie. Aus Sicht der Autoren sollte die Verordnung und Abgabe von DiGAs nur durch Ärzte erfolgen. Die Schulung von Patienten muss geregelt und der Zusatzaufwand muss in der Behandlung honoriert werden.


Literatur:

  1. Schildt J, Mertens H: Das ESYSTA-START-Projekt – Telediabetologisches Chronic Care Management als Versorgungsoption im ambulanten Sektor? Dia­betes aktuell 2013; 13: 354 – 359
  2. Sand L, Schildt J, Thun S: Health economic analysis of the telemedicine based ESYSTA-system ­with a connected smart insulin pen – potential monetary savings from using an integrated diabetes management system. ATTD, 2019, Berlin

Autoren:

Dr. Winfried Keuthage
Schwerpunktpraxis für Diabetes und Ernährungsmedizin, MedicalCenter am Clemenshospital, Düesbergweg 128, 48153 Münster

Dr. Hansjörg Mühlen
Diabetologikum Duisburg, Ruhrorter Straße 195, 47119 Duisburg