Über den DuT-Report
So wie im Jahr 2020 hat uns auch im Jahr 2021 die Corona-Pandemie voll im Griff gehabt – und hat die Digitalisierung weiter vorangetrieben. Interessanterweise ist aber manche Entwicklung nicht vorangeschritten, wie die aktuelle Umfrage für den D.U.T-Report zeigt – obwohl es eher anders zu erwarten gewesen wäre. Über die Gründe kann man spekulieren. Möglicherweise hat die Situation gerade unter den im Medizinbetrieb Aktiven eine Ermüdung herbeigeführt, sodass manches kritischer gesehen wird. Dies gilt sicher auch für die Diabetologie, die aber dennoch in Bezug auf die Digitalisierung weiter vorne mitspielt – mit Daten-Management, mit Online-Schulungen und Online-Sprechstunden. Aktuelle Themen in diesem D.U.T-Report von 2022 sind unter anderem: ++ Zukunft der Diabetes-Schwerpunktpraxen ++ Digitale Innovationen in der Diabetologie ++ Digitale „Sprache“ ++ Status quo der elektronischen Patientenakte ++ Human Factor in der Diabetes-Technologie ++
Die Umfrage
Im ersten Teil bekommen Sie die Ergebnisse zweier Umfragen unter Diabetologinnen und Diabetologen und unter Menschen mit Diabetes zusammengefasst und verglichen. Die Ergebnisse sind wieder spannend – auch im Vergleich mit den Ergebnissen aus den Vorjahren! Das Bild der Diabetologie wird immer digitaler und Technologie-getriebener.
Der Report
Im zweiten Teil des Reports schreiben Experten über aktuelle Entwicklungen in der Diabetologie. Die Beiträge sollen Sie dabei unterstützen, praxistaugliche Lösungen zu identifizieren, die Bestandteil der modernen und patientenorientierten Diabetologie sein können.
Vorwort der Herausgeber
„Es war verdammt viel los“ – der bekannte Spruch einer Serie, mit dem die Rückblende auf die vergangenen Ereignisse eingeleitet wurde, passt sehr gut auf das Jahr 2021. Es war ein Jahr voller Innovationen, neuer Technologien und digitaler Anwendungen und einer Reihe von Turbulenzen. Denn es war auch leider wieder ein Jahr, welches durch die COVID-19-Pandemie geprägt war. Diese konfrontierte Menschen mit Diabetes und diabetologische Einrichtungen auf der einen Seite mit einer Reihe von Herausforderungen, löste auf der anderen Seite aber auch einen Innovationsschub für digitale Anwendungen und Kommunikationsformen aus. Die meisten Diabetologen dieser Befragung teilen die Einschätzung, dass durch die Pandemie Digitalisierungs-Prozesse in ihrer Einrichtung beschleunigt wurden.
Viele Menschen mit Typ-1-Diabetes haben den Traum von einer automatisierten Steuerung der Glukosewerte durch AID-Systeme, manche träumen sogar von einer Art „technischer Heilung des Typ-1-Diabetes“. Lange Zeit galt dies als ein unrealistisches Unterfangen, aber in den letzten Jahren wurden wichtige Schritte unternommen, um diesen Traum wenigstens ein Stück weit Wirklichkeit werden zu lassen. Denn die verlässliche kontinuierliche Messung der Glukosewerte, der digitale Fortschritt durch die Entwicklung von sicheren Algorithmen zur Mustererkennung und Trends von Glukosewerten haben dazu geführt, dass im letzten Jahr die ersten (Hybrid-)automatisierten Insulindosierungs-Systeme (AID-Systeme) in Deutschland zugelassen wurden. Diese steuern zwar noch nicht automatisch die Glukose, sondern benötigen immer noch Menschen, die mitdenken und mitsteuern. Aber die AID-Systeme sind mit der Hoffnung verbunden, zukünftig das Leben mit Diabetes zu erleichtern, bessere Stoffwechselwerte zu erzielen und damit das Gespenst der gefürchteten Akut- und Folgekomplikationen zu verscheuchen. Die ersten Daten zu AID-Systemen berechtigen zu der Hoffnung, dass dieser Traum tatsächlich Realität werden könnte. Im hier vorliegenden D.U.T-Report finden Sie aktuelle Zahlen, welche Bedeutung Ärzte und Menschen mit Diabetes AID-Systemen zuschreiben, welche Auswirkungen diese schon jetzt auf die klinische Praxis haben und wie häufig sie in der Zukunft eingesetzt werden könnten.
Menschen mit Typ-2-Diabetes stellen die größte Gruppe von Personen dar, die eine Insulinbehandlung durchführen. Besonders auf diese Personen zielen Smart-Pens ab, die einen wichtigen Beitrag für ein digitales Diabetes-Ökosystem der Zukunft liefern, indem sie Daten zu Insulindosis, Zeitpunkt der Insulininjektion und Art des Insulins bereitstellen. 2021 kamen nun erstmals Smart-Pens von großen Insulinherstellern auf den Markt, und es bleibt abzuwarten, ob sich diese Pens durchsetzen werden. Wie Ärzte diese Innovation beurteilen und welche Prognose sie abgeben, können Sie in den Ergebnissen unserer aktuellen Umfrage zum Stand der Digitalisierung und neuer Technologien 2021 nachlesen, die wir bereits zum vierten Mal in Folge durchgeführt haben. Das ermöglicht, für bestimmte Themen die Entwicklungs-Trends der letzten Jahre aufzuzeigen. Ein wichtiger Trend ist die Verbreitung von modernen Technologien, welche in den letzten Jahren eindrucksvoll zugenommen haben: In dem Zeitraum von vier Jahren hat die Zahl der Menschen, die eine Methode des kontinuierlichen Glukosemonitorings nutzen, um 144 % zugenommen, die Zahl der Menschen mit einer Insulinpumpentherapie ist um 70 % angestiegen.
Zum zweiten Mal nach 2020 haben wir in diesem Jahr auch Menschen mit Diabetes und Eltern von Kindern mit Typ-1-Diabetes nach ihrer Meinung zu digitalen Anwendungen und neuen Technologien gefragt. Vor allem der Vergleich der Einschätzungen von Menschen mit Diabetes und Ärzten ist interessant und bestätigt die Ergebnisse der letzten Umfrage: Menschen mit Diabetes stehen der Digitalisierung in der Diabetologie aufgeschlossener gegenüber und sind mit ihren Wünschen und Erwartungen deutlich fortschrittlicher und fordernder als Ärzte. Dies sei ohne Bewertung festgestellt, welche Einschätzung richtiger und realistischer ist. Allerdings sollten die Wünsche und Bedürfnisse von Menschen mit Diabetes für uns Experten schon bedeutsam und handlungsleitend sein. Und konkret könnte dies bedeuten, dass Diabetologen gerade in der Pandemie mehr Video-Sprechstunden und -Schulungen anbieten und sich mehr mit Apps beschäftigen sollten und die Umsetzung der elektronischen Patientenakte aktiv fördern.
Am 1. Januar 2021 ist mit dem Start der elektronischen Patientenakte (ePA) ein langgehegter Traum der Bundesregierung in Erfüllung gegangen. 18 Jahre nach dem GKV-Modernisierungsgesetz vom 14. November 2003, in dem die Einführung der elektronischen Gesundheitsakte beschlossen wurde (… der Bau des Berliner Flughafens begann übrigens erst 2006), und weit mehr als 1 Milliarde Euro an Kosten war die Einführung der ePA durchaus holprig und mit vielen Schwierigkeiten verbunden, denn vielerorts fehlen noch immer die technischen Voraussetzungen. Am Beispiel der ePA zeigen sich die Mängel der Telematik in Deutschland, da bislang nur wenige Akteure des Gesundheitssystems in einem geschlossenen, sicheren Netz Informationen austauschen können. Wie wichtig es ist, dies zu ändern und eine moderne Telematik-Infrastruktur aufzubauen, zeigt in einem der 10 Beiträge zu aktuellen und zukünftigen Themen der Diabetologie der Zukunft der Leiter der gematik, Dr. Markus Leyck Dieken – in der Diabetes-Community durch sein früheres Engagement als Geschäftsführer von Novo Nordisk Deutschland bekannt. Er beschreibt die Situation des deutschen Gesundheitswesens treffend: „Bisher sind die IT-Systeme in Arztpraxen, Krankenhäusern, Apotheken, Pflegeeinrichtungen und mehr oftmals so heterogen, dass der schnelle Datenaustausch be- oder sogar verhindert wird – und somit wichtige Informationen für die Behandlung der Patienten nicht dort landen, wo und in welcher Form sie benötigt werden.“ In einem aktuellen Bericht der gematik an die Bundesregierung steht die Forderung, dass die Strukturen für ein koordiniertes Vorgehen aller an der Telematik beteiligten verbessert und das Tempo der Digitalisierung erhöht werden müssen. Das Ziel ist laut Leyck Dieken klar: „Der Austausch von Patientendaten ist die Basis für eine gute medizinische Versorgung, vor allem über Sektorengrenzen hinweg.“
Auch die Autoren Lueg und Scheper beklagen dies in ihrem Beitrag zur Zukunft der diabetologischen Schwerpunktpraxen: „Die fehlende Konnektivität der Devices wie Pumpen, Sensoren und jetzt der Systeme zur automatischen Insulin-Dosierung (AID-Systeme) ist immer noch zu beklagen und wir sind auch weiter zur Nutzung von Cloud-Lösungen gezwungen, weil Hersteller-Egoismen eine offene Schnittstelle, die auch die Auswertung über lokale Systeme in der Praxis ermöglichen würde, verhindern.“ Auch fordern sie mehr Unterstützung bei dem Prozess der digitalen Transformation der Praxis.
Rasche Veränderungen, eine Folge des digitalen Transformations-Prozesses, führen natürlich auch zu Nachteilen und einer Reihe ethischer Implikationen. „Mit der digitalen Transformation halten in praktisch allen Bereichen medizinischen Handelns (…) neue, in Teilen strukturelle Veränderungen Einzug. Diese Veränderungen schenken vielen Hoffnung auf neue Heilungsmöglichkeiten, anderen Ängste vor Datengefährdung und Dehumanisierung“, schreibt Prof. Dr. Stefan Heinemann, Professor für Wirtschaftsethik in seinem sehr lesenswerten Beitrag mit dem Titel „Digitale Diabetologie braucht Ethik“ und beschreibt die ethischen Konsequenzen des digitalen Wandels. Seine Schlussfolgerung: „Wo die digitale Technologie den Diabetikerinnen und Diabetikern nutzt oder hilft, Diabetes zu verhindern, und dabei gleichzeitig menschliche (nicht Algorithmen-)Autonomie geschützt und gefördert wird, attraktive und verantwortungsvolle Berufsbild-Entwicklungen möglich werden, einseitige Daten-Abhängigkeiten zugunsten von Diabetesdaten-Monopolisten vermieden werden zugunsten von mildtätigen Initiativen und legitimen Geschäftsmodellen, überall dort sind Orte, an denen digitale Diabetologie gelingen wird – auch ethisch.“
Wir hoffen, dass Sie die Fakten des D.U.T-Reports 2022 interessant finden, dass Ihnen die Lektüre fruchtbare Anregungen für die Weiterentwicklung der diabetologischen Praxis der Zukunft liefert und dass wir Sie neugierig auf die Zukunft einer digitalen Diabetologie machen konnten – getreu dem Zitat von Antoine de Saint-Exupéry „Die Zukunft soll man nicht voraussehen wollen, sondern möglich machen. … Lass also die Zukunft wie einen Baum gedeihen, der nach und nach seine Zweige entfaltet.“
Prof. Dr. Bernhard Kulzer
Bad Mergentheim
Prof. Dr. Lutz Heinemann
Neuss
Vorwort DDG
Vor mir liegen die ersten drei Ausgaben des Digitalisierungs- und Technologie-Reports Diabetes. 2022 erscheint der vierte D.U.T-Report. Zentraler Bestandteil dieses Berichts ist auch in diesem Jahr wieder die Umfrage unter rund 300 Diabetologen und etwa 1600 Menschen mit Diabetes zu ihren Ansichten, Einschätzungen und Prognosen bezüglich des digitalen Wandels und neuer Technologien. Diese Umfrage dokumentiert eindrucksvoll unterschiedliche Einstellungen zur Digitalisierung sowie die Vor- und Nachteile für die jeweils Befragten. Für die Weiterentwicklung in diesem Bereich ist ein solches Meinungsbild wegweisend. Digitalisierung und Weiterentwicklung der Technologien dürfen sich nicht über die Köpfe der jeweils Betroffenen hinwegsetzen, sondern müssen sich an deren unmittelbaren Bedürfnissen orientieren und diese in die Fortentwicklung einbeziehen. Dies ist insbesondere deshalb essenziell, weil die Entwicklungen in diesen Bereichen mit einer rasanten Dynamik voranschreiten.
Im zweiten Teil des D.U.T-Reports werden aktuelle Themen und Trends im Bereich der Digitalisierung und neuer Technologien in der Diabetologie von renommierten Gastautoren beleuchtet. Diese Expertensicht ergänzt die Umfragen und vervollständigt die Situationsbeschreibung. Gerade diese Beleuchtung des Themas aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln macht den D.U.T-Report zu einer wertvollen und facettenreichen Sammlung von Fakten und Einschätzungen.
Den Herausgebern, Prof. Dr. Bernhard Kulzer und Prof. Dr. Lutz Heinemann, gratuliere ich herzlich, dass es abermals gelungen ist, mit dem D.U.T-Report eine aktuelle Standortbestimmung vorzunehmen. Dem Report wünsche ich eine breite Leserschaft. Ich bin sicher, dass diese Dokumentation von Informationen und Ansichten alle Interessierten bereichern und wesentliche Impulse für den Fortgang der Digitalisierung und die Weiterentwicklung neuer Technologien geben wird.
Prof. Dr. Andreas Neu
Präsident der Deutschen
Diabetes Gesellschaft (DDG)
Vorwort diabetesDE
Pandemie als Treiber der Digitalisierung
Diabetes mellitus ist prädestiniert für digitale Lösungen, die das Leben von chronisch Kranken im Alltag erleichtern können. Wie bei keiner anderen Erkrankung sind Menschen mit insulinpflichtigem Diabetes mellitus angehalten, regelmäßig ihre Glukosewerte zu überprüfen und die Therapie anzupassen. Von der Digitalisierung versprechen sich Menschen mit Diabetes eine Reduktion ihrer Krankheitslast und die Stärkung des Patienten-Selbstmanagements. Die unblutige, kontinuierliche Glukosemessung (CGM) und die Erleichterung durch automatisierte Insulingaben ist bei vielen bereits genauso Realität wie die Dokumentation Therapie-relevanter Daten mittels Software oder App statt eines Blutzuckertagebuchs.
CGM-Systeme ermöglichen das permanente Überwachen der Glukosewerte, tragen zum Verhindern von Hypo- und Hyperglykämien bei und geben den Menschen mit Diabetes mehr Sicherheit. Diese Sicherheit wird durch die Kombination von Insulinpumpen mit CGM-Systemen als Hybrid-Closed-Loop oder Advanced-Hybrid-Systeme noch erhöht und Therapieergebnisse können weiter verbessert werden. Gleichzeitig ist ein individualisiertes Anpassen des Ernährungs- und Bewegungsverhaltens, welches gerade bei Menschen mit Typ-2-Diabetes eine wichtige Rolle spielt, effektiv möglich. Neben der Insulintherapie könnten hier auch Menschen mit Typ-2-Diabetes und einer oralen Therapie oder alleinigen diätetischen Therapie im Rahmen eines Coaching-Ansatzes mit Diabetesberaterinnen und -beratern profitieren.
Telemedizinische Sprechstunden ersparen beschwerliche Wege zum Arzt und unnütze Wartezeiten. Während der COVID-19-Pandemie sind Video-Sprechstunden hilfreich, um den Menschen mit Diabetes eine Möglichkeit zur Kontaktaufnahme mit ihren Diabetesteams zwischen den Präsenzterminen zu ermöglichen. Eine E-Patient-Studie mit mehr als 5000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern ergab, dass sich die Nutzung von Online-Sprechstunden seit Herbst 2020 mehr als verdoppelt hat.
Diabetesschulungen per Video können eine gute Lösung dahingehend darstellen, dass Menschen mit Diabetes trotz Lockdowns die Möglichkeit haben, an evaluierten DMP-Schulungen teilzunehmen. Hierfür eignen sich die vorhandenen Schulungsprogramme in unterschiedlicher Weise. Praktische Erfahrungen der letzten eineinhalb Jahre haben vielerorts gezeigt, dass Online-Schulungen zu COVID-19-Zeiten zwar wertvoll sind, dass aber der Austausch zwischen dem Diabetesteam und den Menschen mit Diabetes viel weniger interaktiv war als in der analogen Begegnung. Gründe hierfür waren technische Barrieren (fehlende Hardware mit Kamera und Mikrofon, „WLAN-Löcher“) oder kommunikative Barrieren. So war es beispielsweise für viele Nutzerinnen und Nutzer irritierend, auch sich selbst permanent auf dem Videoscreen zu sehen.
Insbesondere für Menschen mit Diabetes, die auf dem Land leben und teilweise Hunderte Kilometer fahren müssen, um in eine diabetologische Schwerpunktpraxis zu kommen, können die neuen digitalen Angebote eine Erleichterung und die Chance einer spezialisierten Versorgung bieten. Aber wenn Online-Schulungen und Video-Sprechstunden flächendeckend Standard werden sollen, müssen sie auch adäquat vergütet werden, sonst scheuen die Ärztinnen und Ärzte in den Praxen die Investitionen in Soft- und Hardware und die Integration dieser Kommunikationsform in ihren Praxisalltag. Sowohl Video-Sprechstunden als auch Online-Schulungen sollten ins DMP integriert werden.
Seit mehr als einem Jahr sind digitale Gesundheitsanwendungen (DiGAs) in Deutschland verschreibungsfähig. Die erste DiGA mit der Indikation Diabetes wurde Ende 2021 zugelassen (ESYSTA). Im Bereich der Therapie von Adipositas gibt es Stand 2021 zwei DiGAs, die in Ernährungsfragen bei Adipositas unterstützen können (zanadio und Oviva). Weitere DiGAs werden in den nächsten Monaten im Bereich der Indikation Diabetes mellitus erwartet. Der Zugang zu und der Umgang mit medizinischen Daten soll zukünftig durch die elektronische Patientenakte (ePA) und daran anschließend durch die elektronische Diabetesakte (eDA) erleichtert werden.
Im jetzt vorliegenden 4. D.U.T-Report, der mittlerweile in Deutschland zu einem Standardwerk im Bereich der Diabetologie geworden ist und auf den ausländische Experteninnnen und Experten mit Respekt und Anerkennung schauen, wurden erneut Umfragen unter Diabetologinnen und Diabetologen und unter Menschen mit Diabetes mellitus durchgeführt. Die letzte Umfrage, in der diese beiden Gruppen parallel befragt wurden, liegt zwei Jahre zurück und es ist spannend zu sehen, was sich jetzt in den Ansichten geändert/verstetigt hat. Sind Menschen mit Diabetes oder Eltern von Kindern mit Typ-1-Diabetes immer noch viel positiver hinsichtlich einzelner digitaler Fragestellungen im Vergleich zu Diabetologinnen und Diabetologen in Deutschland eingestellt? Wo liegen weiterhin Hürden und Chancen? Wie wird die Entwicklung digitaler Therapie-Unterstützungen von Menschen mit Typ-2-Diabetes eingeschätzt? Diese Einschätzungen von Menschen mit Diabetes können dazu beitragen, die digitalen Möglichkeiten noch besser im Therapie-Prozess zu bewerten, Möglichkeiten aufzuzeigen und Forderungen zu formulieren.
Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen!
Dr. Jens Kröger
Vorstandsvorsitzender, diabetesDE – Deutsche Diabetes-Hilfe
Vorwort BVND
Die vierte Version des D.U.T-Reports liegt auf dem Tisch. Und erneut wird sehr deutlich, dass die Menschen insbesondere auch bei der gesundheitlichen Versorgung ein hohes Maß an Interesse für digitale Lösungen – einfache Lösungen – in ihrem Alltag haben: Ärzte, nichtärztliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie vor allem Betroffene.
Als gewählter Vertreter einer vergleichsweise kleinen, aber sehr Technik- und Digitalisierungs-affinen ärztlichen Berufsgruppe freut es mich natürlich, wenn sich der schon in den vergangenen Ausgaben des Reports sichtbare Trend bestätigt, dass die niedergelassenen Diabetologen in vielen Bereichen „à jour“ sind.
Für alle, die alltäglich mit dem Thema Digitalisierung und Technisierung in ihren Instituten und Praxen zu tun haben, ist die umständliche und zögerliche Umsetzung durch staatliche und halbstaatliche Regulierungsinstanzen nach wie vor lähmend und manchmal auch demotivierend. Leider führt dieses Zögern dazu, dass „andere Spieler auf dem Platz“, z. B. Vertreter der Industrie, aus reinem Eigeninteresse auch unter Umgehung geltender Regelungen – und manchmal mithilfe von fehl- und übermotivierten Kostenträgern – Fakten schaffen, die nur sehr schwer wieder rückgängig zu machen sind. Diese Vorgehensweise schadet am langen Ende auch den gesamtgesellschaftlichen Bemühungen um breite Akzeptanz für das Thema Digitalisierung mit all ihren gesetzlichen und regulatorischen Rahmenbedingungen in Deutschland.
Die vergleichsweise kleine, aber hochaktive diabetologische Community in diesem Land sollte sich im Sinne des von unserer Fachgesellschaft DDG schon vor vier Jahren formulierten „Code of Conduct Digital Health“ verhalten. Wir sollten alles daran setzen, alle Menschen mit dieser Erkrankung bei der Technisierung und Digitalisierung mitzunehmen, vor allem aber niemanden auszugrenzen. Aktuell droht uns ein Wirrwar bei der konkreten Versorgung, welches einer nachhaltigen Versorgung unserer Patientinnen und Patienten nicht zuträglich sein wird.
Der Inhalt des vorliegenden Reports zeigt erneut das große Interesse an Digitalisierungs- und Technisierungs-Themen und deren Umsetzung speziell im Diabetesbereich. Dieses deckt sich mit dem gesamtgesellschaftlichen Interesse an dieser Thematik. Wir sollten uns beim Umsetzen der Themen der diesbezüglichen Verantwortung bewusst sein und uns dafür stark machen, dass das Umsetzen behutsam und umsichtig geschieht!
Ich wünsche allen interessierten Lesern – wie auch in den vergangenen Jahren – viel Spaß bei der Lektüre des vorliegenden Reports, der wie immer auch spannende und so nicht unbedingt erwartete Fakten und Trends zeigt.
Dr. Nikolaus Scheper
1. Vorsitzender des Bundesverbands Niedergelassener Diabetologen (BVND)
Vorwort VNDN
In der Diabetestherapie, aber auch im Diabetes- und im Praxis-Management haben in den letzten Jahren die Digitalisierung und der technische Fortschritt einen wichtigen Platz eingenommen. Moderne Diabetes-Therapie oder modernes Diabetes-Management ist ohne die Digitalisierungs-Prozesse und die technologische Weiterentwicklung nur noch schwer vorstellbar. Digitalisierung ist somit zu einem festen Bestandteil moderner Diabetes-Behandlung neben der klassischen Schulung und Beratung sowie der medikamentösen Therapie geworden.
Der Zauber, den Digitalisierung versprühen kann, wird von Fachkräften in der Diabetologie nicht immer als positiv empfunden. Es bestehen regional immer noch Mängel in der Infrastruktur für stabile Netzverbindungen. Es fehlt Refinanzierung für Investitionen im Digitalisierungs- und Technik-Bereich in der Praxis und die Hürden durch Gesetzesvorgaben, insbesondere der Sicherheitsvorschriften, sind für selbstständige Praxen zum Teil schwer zu erfüllen. All diese Dinge behindern den Arbeitsalltag von Diabetes-Teams strukturell und belasten die Einrichtungen finanziell.
Der Digitalisierungs- und Technologiereport, kurz: D.U.T, begleitet die ambulanten und stationären Diabetes-Einrichtungen seit einigen Jahren und bildet durch Umfragen eine Teilmeinung der Diabetes-Szene in Deutschland ab. In den befragten Institutionen, die Menschen mit Diabetes behandeln, liegen ein großes Wissen zum Diabetes und eine breite Kompetenz in der Therapie-Umsetzung vor. Dies ist ein enormer Schatz für die Diabetes-Behandlung in Deutschland. Unsere zukünftige Aufgabe wird es sein, das Diabetes-spezifische Wissen und die dazugehörige Kompetenz in den Praxen und in den Zentren zu halten, ohne Gefahr zu laufen, dass durch wirtschaftlich besser gestellte externe Dienstleister Teilbereiche aus der Diabetologie ausgegliedert werden.
Digitalisierung sollte doch eine dem Menschen zugewandte Medizin unterstützen, eine Medizin, die Ressourcen hat für Gespräche und ein offenes Ohr für die Patienten.
Sandra Schlüter
Vorstandsvorsitzende des Verbands der niedergelassenen Diabetologen Niedersachsens (VNDN)
Vorwort BVKD
Im Alltag von Menschen mit Diabetes werden zunehmend Diabetes-Devices genutzt. Die Patientinnen und Patienten können damit ihre Lebensqualität steigern oder/und ihre Behandlungsqualität verbessern. Die technische Entwicklung schreitet schnell voran. Zurzeit sind in Deutschland beispielsweise neun Insulinpumpenmodelle verfügbar, die zum Teil mit CGM-Systemen gekoppelt werden können. Um die Technik zu beherrschen, müssen sich sowohl die Diabetesberaterinnen/-berater als auch die Ärztinnen/Ärzte kontinuierlich weiterbilden und regelmäßig Umgang mit diesen Geräten praktizieren. Ein nicht spezialisierter Arzt wird hier keinen Überblick mehr haben können.
Diese Problematik trifft nun auf den Alltag in deutschen Krankenhäusern. Er ist geprägt von COVID-19, Personalmangel und einem ökonomisch gesteuerten weiteren Abbau diabetologischer Fachkompetenz.
Wie können diese Probleme bewältigt werden? Es bietet sich die Nutzung technischer Unterstützungssysteme und Kooperation von diabetologisch versierten Kliniken mit kleineren Krankenhäusern an. Dazu könnten telemedizinische Strukturen genutzt werden. In der Radiologie ist es längst etabliert, dass Untersuchungen nicht vor Ort ausgewertet werden. Was in der Diabetologie fehlt, sind eine nutzbare Infrastruktur und Regelungen zur Abrechnung dieser Leistungen zwischen den Kliniken, natürlich unter Berücksichtigung von Datenschutz und Datensicherheit.
Wir sollten die Dynamik der technischen Entwicklung nicht nur als Risiko, sondern auch als Chance begreifen.
Dr. Thomas Werner
1. Vorsitzender des Bundesverbands Klinischer Diabetes-Einrichtungen (BVKD)
Vorwort winDiab
Digitalisierung ist in aller Munde, „mehr Tempo und Qualität bei der digitalen Transformation“ fordert zum Beispiel die AOK Rheinland/Hamburg öffentlich.
Wie viele andere Entwicklungen verläuft auch die Digitalisierung schubweise, wir haben gerade mit den CGM-Systemen in den letzten Jahren solch einen Schub hinter uns. Jetzt steht mehr Daten-Integration an: Bewegungsdaten und die digitale Kohlenhydrat-Schätzung zu den Glukosedaten, automatische Rückmeldung zu Mustern u. v. m.
Solange wir nur eine Technik umsetzen müssen, geht es ja noch leicht. Aber was passiert, wenn wir uns ändern müssen, um z. B. eine gemeinsame Akte zu pflegen? Der Umgang mit dem bundeseinheitlichen Medikationsplan lässt es ahnen. Hier herrscht m. E. ein großes Durcheinander. Die Digitalisierung könnte uns zu neuen Regeln verhelfen oder auch zwingen – die wir dann aber auch akzeptieren und umsetzen müssen, damit die Projekte gelingen. Es menschelt vielleicht mehr bei der Digitalisierung, als wir bislang wahrnehmen.
Viel Freude beim Lesen wünscht
Dr. Matthias Kaltheuner
Geschäftsführer von winDiab
Vorwort VDBD
Wenn Menschen mit Typ-1-Diabetes das „Wort des Jahres“ bestimmen könnten, würde ihre Wahl vermutlich auf „AID-Systeme“ fallen. Die Kombination aus Insulinpumpe mit verlässlicher kontinuierlicher Glukosemessung (CGM) und einem die Insulinzufuhr steuernden Algorithmus bedeutet einen Meilenstein in der Diabetes-Therapie. Experten sprechen sogar von einer Revolution, mit der die Vision einer „technischen Heilung des Typ-1-Diabetes“ einen Schritt realer wird. AID-Systeme bieten Betroffenen einen immensen Mehrwert und werden sicherlich zum Standard werden. So gaben bereits im D.U.T-
Report 2021 rund 92 % der befragten Diabetesberater:innen und Diabetesassistent:innen an, dass AID-Systeme in fünf Jahren eine wichtige Therapie-Option darstellen werden und ihre ärztlichen Kolleginnen und Kollegen schätzten das ähnlich ein.
Die selbstlernenden Systeme dürfen jedoch nicht zu der irrigen Annahme verleiten, dass es lediglich einer technischen Einweisung in das jeweilige Hilfsmittel bedarf. Für ein erfolgreiches Therapie-Management mit einem Anteil der Glukosewerte von mehr als 70 % im Zielbereich (Time in Range, TIR) von 70 – 180 mg/dl bzw. 3,9 – 10,0 mmol/l, wie es das ATTD-Konsensuspapier empfiehlt, braucht es mehr als das bloße Handhaben der Technik. Die Patientinnen und Patienten müssen gut geschult sein, ein Verständnis für den jeweiligen Algorithmus des eigenen AID-Systems haben und vor allem dessen Grenzen kennen. Unabhängig davon muss die Kompetenz für Kohlenhydrat-Einschätzung gegeben sein. Denn die/der Betroffene muss sich in kritischen Situationen zu helfen wissen, beispielsweise falls das automatisierte System ausfallen sollte.
Das bedeutet nicht zuletzt, dass im Vorfeld eine Therapie-Schulung und eine Beratung von großer Bedeutung sind, die die Fähigkeiten und Erwartungen der Patientinnen und Patienten berücksichtigen. Angesichts der unterschiedlichen und kombinierbaren Komponenten und Algorithmen bringen AID-Systeme auch nicht zu unterschätzende Herausforderungen für Schulungskräfte mit sich. Damit die digitalen Kompetenzen von Diabetesfachkräften mit der technologischen Entwicklung Schritt halten, wird die VDBD AKADEMIE künftig Workshops zu AID-Systemen anbieten. Obgleich abschließend zu klären sein mag, wer und in welchem Umfang Patientinnen und Patienten mit AID-Systemen betreuen soll, fallen schon jetzt digitale Gesundheitsanwendungen im gelebten Praxis- und Klinikalltag vornehmlich in das Aufgabengebiet von Diabetesberatungs- und Schulungskräften. Somit bleibt diese Berufsgruppe trotz oder vielmehr wegen des rasanten technologischen Fortschritts auch künftig eine tragende Säule in der Versorgung von Menschen mit Diabetes.
Bei aller Begeisterung für die technologischen Möglichkeiten in der Behandlung von Menschen mit Typ-1-Diabetes darf jedoch nicht vergessen werden, dass die Mehrheit der Menschen mit Diabetes an einem Typ-2-Diabetes erkrankt ist und AID-Systeme bei dieser Zielgruppe vorerst keine Rolle spielen. Umso wichtiger ist es, für das Gros der Betroffenen digitale Hilfsmittel, wie smarte Pens, zu entwickeln, die sie in ihrem Selbstmanagement unterstützen bzw. überhaupt an ein Selbstmanagement heranführen. Ohne die strukturierte Präsenz-Gruppenschulung in ihrer wichtigen Bedeutung in Frage zu stellen, fordert der VDBD daher nach wie vor, dass strukturierte Video-Schulungen als zusätzliche Option dauerhaft Kassenleistungen werden müssen, und von der Politik durchgreifende Maßnahmen zur Verhältnisprävention!
Dr. Nicola Haller
Vorsitzende des Verbands der Diabetes-Beratungs- und Schulungsberufe in Deutschland e.V. (VDBD)
Dr. Gottlobe Fabisch
Geschäftsführerin des Verbands der Diabetes-
Beratungs- und Schulungsberufe in Deutschland e.V. (VDBD) und der VDBD AKADEMIE GmbH