Dr. Katarina Braune, Prof. Dr. Lutz Heinemann

Innovationen im Bereich der Digitalisierung/­Diabetestechnologie

Die Digitalisierung bezieht sich in der Dia­betologie nicht nur auf die Telemedizin. Genauso relevant sind Diabetes-­Hilfsmittel wie Blutzuckermessgeräte, Systeme zum kontinuierlichen Glukose­messen, Insulinpens, Insulinpumpen – auch diese Systeme würden ­ohne digitale Elemente nicht funktionieren oder können, wie im Fall der Insulinpens, durch digitale Erweiterung noch wertvoller für Menschen mit Diabetes werden. Hier ein Überblick über Vorhandenes und zu ­Erwartendes.

Die aktuelle COVID-19-Pandemie hat die Hinwendung zur Nutzung von technologischen Optionen in vielen Lebensbereichen, so auch in der Medizin, massiv verstärkt. Dies erhöht zukünftige finanzielle Zuwendungen im Bereich der digitalen Medizin, was wiederum die Entwicklungsgeschwindigkeit im Bereich der Digitalisierung und Diabetestechnologie (DT) weiter erhöhen könnte. Ein aktueller Trend, der uns vermutlich erhalten bleibt, ist eine Verbesserung der integrierten Versorgung von Menschen mit Diabetes: die Stichworte sind „virtuelle Sprechstunde“ und „digitales Datenmanagement“. Wenn es gelingt, die Daten aus verschiedenen Quellen im Sinne eines „Diabetes-Ökosystems“ zusammenzuführen, können Menschen mit Diabetes und ihre Angehörigen bedarfsgerecht Hilfestellungen zu ihrem aktuellen Status und empfohlenen Therapie­anpassungen erhalten. Dies soll die Dia­betestherapie im Alltag sicherer, benutzer­freundlicher und besser machen, d. h. Glukoseverläufe stabilisieren, Schwankungen der Glukose nach unten und oben verringern, schwere Hypoglykämien und Ketoazidosen abwenden sowie sich positiv auf die Lebens­qualität auswirken. Die Verwendung von Systemen zum kontinuierlichen Glukosemonitoring (CGM) in Echtzeit (­Real-Time-CGM; rtCGM) oder durch intermittierendes Scannen (intermittent-scanning-CGM; iscCGM) liefert dabei hilfreiche Aussagen zur Zeit der Sensorglukose im Zielbereich (Time in Range; TiR) sowie zu der Zeit unterhalb (Time below Range; TbR) und oberhalb (Time above Range; TaR) des Zielbereichs. Die Verbindung von rtCGM-Systemen mit Systemen zur automatisierten Insulinabgabe (Automated Insulin Delivery; AID) ermöglicht, dass viele Szenarien automatisch gehandhabt werden. Es werden aber auch zukünftig Situationen auftreten, die es erfordern, dass Menschen mit Dia­betes und ihre Angehörigen selbst aktiv Therapieanpassungen vornehmen müssen, wie bei extremen sportlichen Belastungen, ungewohnten Tagesabläufen oder Mahlzeiten, hormonell bedingten Schwankungen oder im Krankheitsfall. Dies wird auch unter der Nutzung digitaler therapeutischer Tools erfordern, dass, selbst wenn Menschen mit Diabetes seltener persönlich die Sprechstunde besuchen, der Bedarf an einer individuellen und bedarfsgerechten Betreuung durch Dia­betesteams weiterhin gegeben ist. Bei den Visiten – virtuell oder persönlich – können entsprechend aufbereitete Daten gemeinsam analysiert und Therapieziele und -anpassungen festgelegt werden. Wer dies für ferne Zukunftsmusik hält, sollte sich bewusst machen, in welchem Ausmaß sich in den letzten Jahren die Möglichkeiten der Diabetestherapie geändert haben und wie hoch der Veränderungsdruck hierbei aus unterschiedlichen Gründen ist.

Diagnostische Optionen – SMBG

Stand der Dinge: Obwohl der Markt für die kapilläre Blutglukoseselbstmessung (Selbstmessung der Blutglukose; SMBG) immer noch ein Volumen von vielen Hundert Millionen ­Euro pro Jahr aufweist und viele Menschen mit Diabetes diese Option täglich einsetzen, etablieren sich rtCGM- und iscCGM-Systeme zunehmend als Standard, sowohl bei Menschen mit Typ-1-Dia­betes – insbesondere bei Kindern und Jugendlichen –, aber auch bei Menschen mit ­Typ-2-Dia­betes, monogenetischen Diabetesformen (z. B. MODY) und Gestationsdia­betes steigt dieser Anteil. Die dadurch möglichen größeren Stückzahlen bei der Herstellung von CGM-Systemen sowie der hohe Konkurrenzdruck unter den Herstellern führen ­dazu, dass die Erhaltungskosten für die Nutzung von CGM-Systemen sich zunehmend denen der SMBG annähern, bei einem wesentlichen Mehr an Informationen und Absicherung, z. B. durch Alarme und Voralarme bei Glukoseschwankungen.

Der Einsatz ­digitaler Tools bei der SMBG ­bietet einiges an Optimierungspotenzial bei ­moderaten Kosten.

Innovative Ansätze: Bei SMBG gibt es aktuell kaum technischen Fortschritt zu verzeichnen, unter anderem auch, weil die Hersteller hier kaum noch investieren. Der Trend zu einer „smarten“ Nutzung der bei der SMBG anfallenden Daten und deren Kombination mit Daten aus anderen Quellen (z. B. Bewegungsdaten, die vom Smartphone erfasst werden) ist vorhanden und ermöglicht eine Optimierung des Diabetesmanagements bei einem überschau­baren Aufwand.

Was gilt es zu tun? Der genannte verstärkte Einsatz digitaler Tools zur smarten Datenanalyse bei der SMBG bietet einiges an Optimierungspotenzial bei moderaten Kosten, was insbesondere bei Menschen mit Typ-2-Diabetes und Gestationsdiabetes sinnvoll genutzt werden kann, auch bei jenen, die nicht mit Insulin behandelt werden.

Diagnostische Optionen – rtCGM und iscCGM

Stand der Dinge: Bei allen aktuellen Generationen der schon am Markt etablierten rtCGM-­Systeme werden die Glukosemesswerte automatisch an ein Empfangsgerät übertragen, dies ist entweder eine App auf dem Smartphone oder ein separates Empfangsgerät. CGM-­Systeme stellen einen zentralen Baustein von Systemen für eine automatisierte Insulin­dosierung (AID-Systeme) dar. Dabei wird ein rtCGM-­System mit einer Insulinpumpe so gekoppelt, dass ein Algorithmus basierend auf dem Sensor­glukose­verlauf die Insulin­abgabe entsprechend kontinuierlich anpasst. In Deutschland gibt es nun schon seit einigen Jahren eine Kostenerstattung für CGM-Systeme durch die gesetzlichen Krankenversicherungen bei Typ-1-Diabetes. Die dritte Generation eines CGM-Systems, welches bisher einen manuellen Scan erforderte, d. h. eine aktive Handlung der Nutzer*innen, übermittelt nun auch Alarme in Echtzeit. Diese Weiterentwicklung wird den Markterfolg dieses Systems weiter unterstützen, auch wegen dessen im Vergleich zu anderen rtCGM-Systemen geringeren Kosten. Unberührt bleibt hierbei allerdings die Problematik um Entsorgung von Einmalmaterialien, d. h. der Anfall von großen Mengen an Plastikabfall bei der Nutzung von CGM-Systemen – ein Fakt, der zunehmend an Bedeutung gewinnt. Auch im Zusammenhang mit entsprechenden europäischen Richtlinien zur Reduktion von Plastikmüll gilt es, hier neue und nachhaltigere Wege zu gehen.

Innovative Ansätze: Es gibt neben drei Hauptherstellern von rtCGM- und iscCGM-­Systemen (Abbott, Dexcom und Medtronic) weitere Unternehmen, die entweder ebenfalls Nadelsensoren für die Glukosemessung entwickeln (und deren Produkte damit vergleichbar mit den etablierten Systemen sind) oder mit neuartigen Ansätzen versuchen, die Nachteile der bisherigen CGM-Systeme zu vermeiden. Zu beachten ist dabei, dass die Entwicklung neuartiger Messmethoden eine beachtliche finanzielle Investition darstellt und die erfolgreiche Etablierung eines neuen Produkts am Markt eine weitere massive Herausforderung bedeutet. Hier haben „Newcomer“ nur dann eine Chance, wenn das Produkt wirkliche qualitative oder finanzielle Vorteile bietet. Dabei gibt es gute Beispiele dafür, dass dies immer noch möglich ist.

Die Hersteller etablierter CGM-Systeme bringen in relativ kurzen Zeitabständen neue Generationen ihrer bereits etablierten Produkte auf den Markt, um diese im Sinne einer evolutionären Weiterentwicklung fortwährend attraktiver zu machen. Üblicherweise weist jede neue Geräte-Generation eine bessere Benutzer­freundlichkeit und analytische Messgenauigkeit auf. Letzteres wird durch einen verbesserten „MARD“-Wert (Mean Absolute ­Relative Difference) vermittelt. Ob sich allerdings tatsächlich die eigentliche Messtechnik signifikant verbessert oder ob nur die Algorithmen zur Ausgabe von Gewebeglukosewerten sowie die Herstellungstechniken optimiert werden, ist für Anwender*innen nicht einfach zu beurteilen. So wird durch Hinzufügen von weiteren Membranen auf der Oberfläche der Elektroden, die in das subkutane Fettgewebe zur Glukosemessung eingestochen werden, die Empfindlichkeit von Sensoren auf bestimmte Substanzen (z. B. auf Paracetamol) reduziert. Unerwünschte Interferenzen können so weitgehend verhindert werden. In der Weiterentwicklung der Softwareprogramme, die von Menschen mit Diabetes und ihren Diabetesteams für die Auswertung und Interpretation der Gewebe­glukose-­Daten genutzt werden, haben sich in den letzten Jahren zunehmend technische Lösungen mit Daten-Upload durch Menschen mit Diabetes oder ihre Angehörigen zu cloudbasierten Servern etabliert, so z. B. die Plattform Clarity des Unternehmens ­Dexcom, und herstellerübergreifende ­Plattformen wie Tidepool Web oder Diasend/Glooko. Wenige Fortschritte gibt es von der Entwicklung nicht invasiver Methoden zum Glukosemonitoring zu berichten, d. h. von Produkten, die auf Mess­prinzipien beruhen, die nicht mehr mit einem Durchstechen der Haut verbunden sind. Auch in diesem Jahr hat es hierbei keinen nennenswerten Durchbruch gegeben. Es sind noch keine Produkte auf dem Markt verfügbar, auch wenn einige bereits eine CE-Kennzeichnung erhalten haben.

In der klinischen ­Praxis etabliert sich ­zunehmend die TiR für die ­klinische Beurteilung der Gewebe­glukose.

Im Zusammenhang mit der Nutzung von CGM-Systemen kann es zu lokalen Hautreaktionen kommen. Diese können von diskreten Haut­rei­zungen bis hin zu ausgeprägten und massiv beeinträchtigenden allergischen Reaktionen gehen. In diesen Fällen können Menschen mit Diabetes oft nicht nur das jeweilige CGM-­System nicht mehr nutzen, es kann auch vorkommen, dass Pflaster oder Kunststoff­bestandteile anderer Medizinprodukte nicht mehr vertragen werden, z. B. Infusionssets von Insulinpumpen. Zur klinischen Beurteilung solcher Hautreaktionen hat die Arbeits­gemeinschaft Dia­betes & Technologie (AGDT) der Deutschen Diabetes Gesellschaft ­eine Checkliste entwickelt (siehe AGDT-Homepage). Hauptverursacher der allergischen Reaktionen sind oft bestimmte Acrylate, welche in den Pflastern und den Kunststoffgehäusen der Glukosesensoren der CGM-Systeme enthalten sind bzw. waren. Durch die Verwendung von Kunststoffen ohne Acrylate konnte bei einem der CGM-­Systeme die Problematik von Haut­reaktionen signifikant reduziert werden. Hingegen hat eine Veränderung bei der Pflasterzusammensetzung bei einem anderen CGM-System zu vermehrten neu auftretenden Hautirritationen bei Menschen mit Diabetes geführt.

Was gilt es zu tun? Es ist schwierig, die analytische Leistungsfähigkeit der CGM-Systeme verschiedener Hersteller im Vergleich zu beurteilen, da es immer noch keinen etablierten Standard für die Evaluierung von deren Messgüte gibt. Die Bemühungen einer internationalen Arbeitsgruppe von Expert*innen dazu sind aktuell noch in den Anfängen. Durch Einführung einer „i“-Markierung hat die amerikanische Gesundheitsbehörde (Food and Drug Administration; FDA) einen wichtigen Schritt in Richtung Standardisierung getan; sie hat unter anderem konkrete Vorgaben für die Messgüte gemacht, die ein solches System erfüllen muss. Bislang haben nur zwei CGM-Systeme solch ein Siegel bekommen.

In der klinischen Praxis etabliert sich internationalen Handlungsempfehlungen zufolge zunehmend die TiR für die klinische Beurteilung der Gewebeglukose. Es ist aktuell Gegenstand wissenschaftlicher Diskussionen, ob dies ein zusätzlicher Parameter zum HbA1c-Wert in diesem Zusammenhang ist oder ein eigenständiger.

Im Zusammenhang mit der aktuellen COVID-19-­Pandemie sind in den USA die regulatorischen Vorgaben für die Nutzung von CGM-Systemen im Krankenhaus deutlich gelockert worden. Dort dürfen diese nun zur Verlaufskontrolle bei Menschen mit Diabetes in stationärer Behandlung eingesetzt werden. Dies reduziert nicht nur den Aufwand für das Pflegepersonal bezüglich des Glukosemonitorings wesentlich, sofern dieses in der praktischen Anwendung von CGM-Systemen geschult ist. Weiterhin wird eine kontinuierliche und sicherere Überwachung der Glukoseverläufe von stationär behandelten Patienten mit Diabetes und ­COVID-19 ermöglicht. Dies gewinnt insbesondere bei schweren Krankheitsverläufen an Bedeutung, die eine invasive Beatmung und/oder Gabe von Gluko­kortikoiden erfordern. In Deutschland dürfen allerdings nur qualitätsgesicherte Methoden zur Glukosemessung in Krankenhäusern eingesetzt werden. Dies ist aktuell nur durch kapilläre Blutglukosemessungen gegeben und nicht durch kontinuierliches Glukosemonitoring durch CGM-Sensoren. Da aber auch Menschen mit Diabetes mit CGM-Systemen stationär aufgenommen werden und diese weiter nutzen möchten, führt dies in der täglichen Praxis zunehmend zu Konflikten. Dabei machen die Vorteile, die CGM-Systeme für die stationäre Behandlung von akut erkrankten Patient*innen aufweisen, deren Einsatz auch in diesem Bereich aus klinischen, praktischen sowie auch wissenschaftlichen Gründen sinnvoll.

Therapeutische Optionen – Pens/Smart-Pens

Stand der Dinge: Der überwiegende Anteil von Menschen mit Diabetes verwendet heute Insulinpens für die Applikation von Basal- und Bolus-­Insulin. Mit den heute üblichen dünnen Kanülen verschiedener Längen ist die Insulininjektion für Menschen mit Diabetes verschiedenster Altersgruppen weitestgehend schmerzarm.

Die ersten „Smart-Pens“ von den großen Insulinherstellern sind auf dem Markt erhältlich.

Innovative Ansätze: Was bisher fehlte, war die Anbindung der Pens an das digitale Zeitalter. Relevante Therapiedaten mussten immer noch manuell erfasst werden, z. B. die Uhrzeit und Dosierung von Insulingaben. Nun sind aber die ersten „Smart-Pens“ von den großen Insulinherstellern (Novo Nordisk, Lilly und Sanofi) auf dem Markt erhältlich. Die aktuell erfolgte Übernahme eines US-amerikanischen Herstellers von Smart-Pens (Companion Medical) durch einen Hersteller von CGM-Systemen und Insulinpumpen (Medtronic) zeigt, dass auch diese Unternehmen in diesem Bereich aktiv werden.

Das Erfassen der Informationen zu Insulindosis, -art und Injektionszeitpunkt, gepaart mit Glukosedaten und einer passenden Software mit Dosiervorschlägen, auch in Form von Apps im Zusammenhang mit digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGAs), ist ein attraktiver Markt für die Insulinhersteller und möglicherweise wesentlich schneller, günstiger und weniger riskant als die Entwicklung von neuen Insulinen. Die Verfügbarkeit von mehr Daten zur Insulintherapie hilft auch beim Erkennen von Optimierungspotenzialen zum Anpassen der Therapie. Die Bedeutung dieser Entwicklung ist durchaus als erheblich anzusehen und hilft hoffentlich vielen Patient*innen bei einer nachhaltigen Verbesserung ihrer Therapie.

Die technologischen Ansätze von Smart-Pens sind recht unterschiedlich: von aufsetzbaren Kappen oder Clips bis hin zu wiederverwendbaren eigenen Entwicklungen mit fest eingebauter Konnektivität. Es gibt allerdings bisher nur wenige wissenschaftliche Publikationen zu Smart-Pens. Dort fehlen unter anderem Aussagen zur Qualität der Messung der noch im Insulin­reservoir vorhandenen Insulinmenge.

Was gilt es zu tun? Es gibt bisher zu wenige Belege für die tatsächlichen Vorteile von Smart-Pens durch geeignet angelegte klinische Studien mit einem direkt vergleichenden Studien­design zu konventionellen Insulinpens oder Einmalspritzen.

Therapeutische Optionen – ­Insulinpumpen/Patch-Pumpen

Stand der Dinge: Insulinpumpen sind neben CGM-Systemen ein weiterer zentraler Bestandteil von AID-Systemen. Die meisten heute verfügbaren Insulinpumpen weisen eine Integration von CGM-Daten auf. Das US-amerikanische Unternehmen Tandem ist neu auf dem deutschen und europäischen Markt. Es bleibt abzuwarten, ob die Produkte dieser Firma in Deutschland ebenso beliebt sein werden wie in den USA. In diesem Zusammenhang ist es bereits heute interessant, welche Verschiebungen es auf dem Insulinpumpen­markt bereits in den letzten Jahren national und international gegeben hat.

Bei Patch-Pumpen ist das Infusionsset in die Pumpe integriert. Damit sind diese Produkte schlauchlos, insgesamt deutlich kleiner und weniger auffällig und können auch an mehr ­Stellen am Körper angebracht werden. Der Einstich der Kanüle in das Gewebe erfolgt automatisch. Dass sie einfach in der Anwendung sowie diskreter sind und nicht zwingend nach einem Medizinprodukt aussehen, sind wichtige Faktoren für viele Menschen mit Diabetes, insbesondere Jugendliche und junge Erwachsene. Der Herstellungsaufwand und damit die Kosten sind bei Patch-Pumpen jedoch nicht unerheblich.

Bisher ist mit dem Omnipod nur eine Patch-Pumpe in Deutschland verfügbar. Diese wird insbesondere von Patient*innen genutzt, die vorher keine Schlauchpumpe verwendet haben. In naher Zukunft kommen nun weitere Patch-Pumpen auf den Markt. Aktuell verwenden mehr als 30 Prozent aller Pumpen­nutzer*innen Patch-Pumpen, mit deutlich steigender Tendenz.

Innovative Ansätze: Die Verfügbarkeit von höher konzentrierten Insulinformulierungen ermöglicht die Konstruktion von kompakter ausgebildeten Insulinreservoirs, die eine Nutzung der Patch-Pumpen durch Menschen mit Diabetes mit hohem Insulinbedarf über einige Tage hinweg ermöglichen. Allerdings steigt dabei die Anforderung an die Genauigkeit der Insulininfusion und die Stabilität der Insulinformulierung beim Tragen an der Körperoberfläche.

Was gilt es zu tun? Zur Nutzung von Patch-Pumpen gibt es bisher erstaunlich wenige klinische Studien und wissenschaftliche Publikationen, d. h., es gibt wenig Evidenz zu deren Nutzung. Auch bei Patch-Pumpen sind Hautirritationen ein Thema, welches in geeigneten Evaluierungen untersucht werden sollte.

Therapeutische Optionen – ­Insulininfusionssets

Stand der Dinge: Es gibt immer noch eine Reihe von ungeklärten Fragen bezüglich der Insulinabsorption aus dem Depot an der Spitze der Insulin­infusionssets im subkutanen Gewebe, insbesondere dazu, wie sich die Absorptions­eigenschaften des Insulins in Abhängigkeit von der Tragedauer der Infusionssets verändern. Weiterhin gibt es immer noch Unsicherheiten darüber, wie beeinträchtigt die Insulinabsorption ist, wenn Infusionssets an Körperstellen mit Lipohypertrophien appliziert werden. Es gibt hingegen ausreichend Untersuchungen dazu, wie ausgeprägt dies bei subkutanen Injektionen von Bedeutung ist, z. B. beim Abdecken des prandialen Insulinbedarfs.
Innovative Ansätze: Eine Option zum Erkennen von Insulininfusionssets, die nicht mehr geeignet funktionieren, kann die Analyse von CGM-Daten sein. Hier kann z. B. künstliche Intelligenz eingesetzt werden, die die CGM-­Profile und Insulinsensitivität über die Tage hinweg analysiert und Veränderungen in der Insulin­absorption im subkutanen Fettgewebe anhand von Änderungen im Glukoseverlauf erkennt und Nutzer*innen entsprechend auf einen erforderlichen Wechsel des Insulininfusions­sets hinweist.

Es gibt immer noch ­eine Reihe von ungeklärten Fragen bezüglich der ­Insulinabsorption aus dem Depot an der Spitze der Insulininfusionssets.

Ein aktueller Trend ist die Entwicklung von Infusionssets, die länger als bisher üblich nutzbar sein sollen, idealerweise z. B. ebenso lange wie CGM-Sensoren mit einer Tragedauer von 10 bis 14 Tagen. Dabei wären schon Infusionssets, die über 7 Tage hinweg sicher nutzbar sind, ein deutlicher Fortschritt, der auch zu einer Verringerung des Therapieaufwands für Menschen mit Diabetes und Reduktion der nicht ­unerheblichen Kosten für Infusionssets beitragen könnte. Die ersten solcher Sets scheinen nun Markt­reife zu haben.

Von verschiedenen Ansätzen, das Insulin durch „Microneedles“ direkt in die oberen Hautschichten zu applizieren, hat noch keiner die Marktreife erreicht. Dies gilt auch für die „Smart-­Insuline“, die als Depot in das subkutane Gewebe appliziert werden und dort entsprechend der vorherrschenden Glukosekonzentration freigesetzt werden.

Was gilt es zu tun? Es sollten systematische Studien mit Infusionssets initiiert werden, um die offenen Fragen zu klären, z. B. zu den Unterschieden in der Nutzungsdauer von Kanülen aus Stahl vs. Teflon. Weiterhin wäre es interessant zu ermitteln, weshalb es zu erheblichen inter­indi­viduellen Unterschieden in der möglichen Nutzungsdauer von Infusionssets zwischen Patient*innen kommt.

Systeme zur automatisierten ­Insulin-Dosierung (AID)

Stand der Dinge: Bereits vor der Zulassung erster kommerzieller AID-Systeme (z. B. der ­MiniMed 670G von Medtronic, USA, und des DBGL1 von Diabeloop, Frankreich) gab es eine deutlich wachsende „Looper“-Community von Menschen mit Diabetes, welche sich unter dem Mantra „We are not waiting“ (Wir warten nicht) AID-Systeme selbst erstellen („Do it yourself“; DIY). Mithilfe von online verfügbarem Quellcode und Anleitungen können bereits vorhandene CGM-Systeme und Insulinpumpen mit einem „Open Source“-Algorithmus zu einem (Hybrid-)Closed-Loop-System verbunden werden. Menschen mit Diabetes erstellen und nutzen Open-Source-DIY-AID-Systeme, welche nicht durch regulatorische Behörden zugelassen sind, auf eigenes Risiko. Sowohl erwachsene Nutzer*innen als auch Kinder und Jugendliche erreichen eine beachtlich gute Glukosekontrolle mit Open-­Source-Systemen und berichten von erheblichen Verbesserungen ihrer Lebens- und Schlafqualität.

Sowohl für kommerzielle als auch für DIY-­AID-Systeme gilt, dass Erwartungen der Menschen mit Diabetes an diese Systeme realistisch sowie Vor- und Nachteile der verschiedenen Lösungen bekannt sein sollten. Auch bei deutlich verringertem Therapieaufwand, Reduktion von Hypo- und Hyperglykämien sowie positivem Einfluss der Verwendung von AID-Systemen auf sämtliche Lebensbereiche von Menschen mit Diabetes und ihre Familien bedeutet AID keine „technische Heilung“ des Diabetes. Trotz automatisierter Insulinabgabe besteht weiterhin ein gewisser Therapieaufwand für Menschen mit Diabetes und ihre Angehörigen. Auch sind Vorkenntnisse der Nutzung von Insulinpumpe und CGM sowie die Genauigkeit der vom AID-System verwendeten Parameter, wie Faktoren zur Insulinsensitivität, zum Abdecken von Kohlenhydraten, zu Insulinwirkdauer und Basalprofil, bedeutsam für den Therapieerfolg der automatisierten Abgabe.

Erwachsene Nutzer*innen sowie Kinder und Jugendliche erreichen eine beachtlich ­gute Glukosekontrolle mit Open-­Source-Systemen.

Die grundlegende Bedeutung einer Diabetes­schulung für AID-Anwender*innen wurde beispielsweise in den USA unterschätzt, sodass viele Nutzer*innen des ersten kommerziell verfügbaren AID-Systems des Unternehmens Medtronic unzufrieden waren und viele die Nutzung des „Auto-Modus“ beendeten. Der Handhabungsaufwand bei diesem speziellen AID-System war und ist nicht unerheblich, wie die mehrfach täglich notwendigen Kalibrationen des Sensors, die zahlreichen Alarme, das automatische Verlassen des Auto-Modus bei Glukosespiegeln außerhalb des vorgegebenen Bereichs über einen längeren Zeitraum sowie Limitationen in der Flexibilität der Therapie­parameter wie dem Zielbereich. All dies hat viele Menschen mit Diabetes und deren Angehörige belastet.

Bisher regulieren die derzeit kommerziell verfügbaren „Hybrid“-AID-Systeme die Insulinabgabe durch Anpassung der basalen Insulinabgabe. Den prandialen Insulin­bedarf müssen die Menschen mit Diabetes durch Abgabe von Boli weiterhin manuell abdecken.

Innovative Ansätze: Eine Reihe von weiteren Hybrid- und Full-Closed-Loop- bzw. AID-Systemen ist kürzlich zugelassen worden bzw. in der Entwicklung und wird voraussichtlich in den nächsten Jahren auf den Markt kommen. Das Hybrid-Closed-Loop-System MiniMed 780G des Unternehmens Medtronic soll 2021 in Deutschland verfügbar sein. Die Nachfolgegenerationen sollen auch den Insulin­bedarf bei Mahlzeiten als Full-Closed-Loop-System automatisch abdecken können. Wann und ob „bihormonelle“ Systeme auf den Markt kommen, ist noch unklar. Bei diesen AID-Systemen wird nicht nur Insulin infundiert, sondern auch Glukagon. Durch Gabe dieses „Gegenspielers“ von Insulin kann bei Gabe von zu hohen Insulindosen oder zu niedrigen Glukosewerten eine drohende Hypoglykämie verhindert werden. Es sind nun auch die ersten stabilen und zur subkutanen Applikation durch Pumpen geeigneten Glukagon-Formulierungen verfügbar.

Was gilt es zu tun? Der Einfluss verschiedener AID-Systeme auf klinische und psychosoziale Endpunkte verschiedener Patientengruppen, insbesondere Gruppen mit besonderen Therapieanforderungen wie Kinder, Jugendliche, Schwangere und ältere Patient*innen, sollte weiter wissenschaftlich untersucht werden. Weiterhin fehlen bislang Daten zur Auswirkung der Nutzung von AID-Systemen auf das Risiko für die Entwicklung diabetesassoziierter Folgekomplikationen und die Lebenserwartung von Menschen mit Diabetes. Leider ist es nicht gelungen, ein nationales AID-Register aufzubauen, um darin regelmäßig definierte Parameter zu erfassen, die fundierte Aussagen zur Güte der Glukosekontrolle sowie von Sicherheitsaspekten ermöglicht hätte. Die Fachgesellschaft hat sich in Zusammenarbeit mit der AGDT sehr darum bemüht. Die Gesundheitspolitik war bedauerlicherweise jedoch nicht bereit, den dafür notwendigen inhaltlichen, organisatorischen und technischen Aufwand zu fördern und zu honorieren. Auswertungen eines solchen Registers hätten auch Hinweise dazu liefern können, bei welchen Patientengruppen AID-­Systeme am sinnvollsten eingesetzt werden können. Bereits etablierte Patientenregister wie die Dia­betes-Patienten-Verlaufsdokumentation (DPV) können hier wertvolle Daten liefern.

Elektronische Patientenakten

Stand der Dinge: In Deutschland wird es ab dem 1.1.2021 eine elektronische Patienten-­Akte (ePA) geben. Die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) arbeitet an der Entwicklung einer diabetesspezifischen Ergänzung dazu (elektronische Diabetes-Akte; eDA). Darin sollen relevante Daten von möglichst allen Menschen mit Diabetes erfasst werden. Es gilt abzuwarten, wie sich die ePA in der Praxis etablieren wird. Im DPV-Register werden solche Daten bereits fach- und standortübergreifend gesammelt. Durch die regelmäßige Analyse und Publikation dieser Daten wird die wissenschaftliche und politische Relevanz solcher Datenbanken deutlich.

Es wird darum gehen, durch Analyse der ­Daten Behandlungsteams und Menschen mit Diabetes zu unterstützen.

Innovative Ansätze: In den USA und einigen europäischen Ländern sind elektronische Patientenakten bereits Teil des Behandlungsalltags; entsprechend gibt es regelmäßig Publikationen zu Auswertungen der gesammelten Daten. In Deutschland werden die Daten von Hunderttausenden von Menschen mit Diabetes in den Disease-Management-Programmen (DMPs) zwar im großen Stil erfasst, aus Datenschutzgründen gibt es aber bislang nur wenige Auswertungen und Veröffentlichungen dazu.

Was gilt es zu tun? Mit Etablierung der eDA infolge der Einführung der ePA wird es spannend zu sehen, wie schnell sich diese in der Praxis durchsetzt und was die Auswertungen der darüber aggregierten Daten an relevanten Erkenntnissen liefern.

Digitalisierung/Telemedizin

Stand der Dinge: Bei der Behandlung von Menschen mit Diabetes fallen zahlreiche, größtenteils digital verfügbare Daten an. Diabetes wird deshalb auch als „Daten-Mangement-­Erkrankung“ bezeichnet. Es wird zukünftig vorrangig darum gehen, durch eine smarte Analyse der vorliegenden Daten sowohl Behandlungsteams („­Clinical Decision Support Systems“; CDSS) wie auch Menschen mit Diabetes („Patient Decision ­Support Systems“; PDSS) geeignet zu unterstützen. Neben den Glukoseprofilen sind beispielsweise Daten zu körperlichem und seelischem Gesundheitszustand, Körpergewicht, Nahrungsaufnahme, körperlicher Aktivität und anderen medikamentösen Therapien von Interesse. Dabei können bestimmte Daten aus den verschiedenen Quellen oft automatisch und ohne aktives Zutun der Menschen mit Diabetes oder der Behandlungsteams in die „Cloud“ hochgeladen werden, an entsprechenden sicheren Orten verschlüsselt und gespeichert und mit entsprechenden KI-Algorithmen analysiert werden.

Innovative Ansätze: Gerade in der aktuellen durch die Umstände der COVID-19-Pandemie geprägten Situation wurde die Bedeutung der telemedizinischen Betreuung von Menschen mit Diabetes verdeutlicht. Über das Wegfallen langer Anfahrtswege, Wartezeiten und die Umorganisation des Berufsalltags und ggf. die Kinderbetreuung hinaus war während des „Lockdowns“ Telemedizin oftmals die einzige Option für eine ausreichende Betreuungsintensität unter Minimierung des Infektionsrisikos für die der Risikogruppe angehörigen Menschen mit Diabetes. Die massiven Aktivitäten von großen Hardware- und Softwarekonzernen machen klar, dass die Telemedizin auch in Zukunft eine attraktive Option für die Betreuung von Menschen mit Diabetes darstellt, insbesondere für Berufstätige, Familien mit Kindern, Personen in medizinisch unterversorgten ländlichen Gebieten und in ihrer Mobilität eingeschränkte Patient*innen. Entsprechende Änderungen bei gesetzlichen Regelungen hat es schon gegeben. Wenn nun die Honorierung solcher Versorgungsformen entsprechend nachgezogen wird, wird die Telemedizin zukünftig eine bedeutende Komponente bei der Betreuung von Menschen mit Diabetes darstellen.

Durch ­digitale Tools gestaltet sich das ­Diabetesmanagement zunehmend patienten­zentriert, effizienter und ­anwenderfreundlicher.

Was gilt es zu tun? Kein Behandlungsteam kann die Menge an neuen Informationen, die im ­Bereich der Versorgungsforschung durch digitale Medizin kontinuierlich veröffentlicht wird, noch zeitnah überblicken. Durch den Einsatz von entsprechenden Analysesystemen ist es möglich, relevante Informationen zu finden und so zu analysieren, dass sie auch in der Dia­betestherapie genutzt werden können. Wenn die Fachgesellschaft, medizinische Expert*innen sowie Patient*innen bei der Interpretation solcher Informationen adäquat beteiligt werden, ist sichergestellt, dass Patient*innen und deren Bedürfnisse im Vordergrund stehen und keine anderen.

Zukunft

Durch den Einsatz digitaler Tools und moderner Diabetes-Technologie (z. B. Telemedizin und AID-Systeme) gestaltet sich das Diabetes­management von Menschen mit Typ-1- oder Typ-2-Diabetes und auch anderen Diabetes­formen zunehmend patientenzentriert, effizienter und anwenderfreundlicher. Integrierte Versorgungskonzepte mit individuellen Behandlungskonzepten und virtuellen Sprechstunden zwischen herkömmlichen Arztbesuchen machen eine realitätsnahe Optimierung der Therapie möglich. Da fortwährend über neue Entwicklungen im Bereich der Digitalisierung und Technologie bei der Medizin berichtet wird, stehen wir bis dato noch am Beginn dieser zukunftsweisenden Entwicklungen. Die Diabetologie ist bei neuen technischen Entwicklungen – getrieben von der Gesundheitspolitik, Fachexpert*innen und Bedürfnissen der Patient*innen – nun federführend dabei. Es gilt, die Balance zwischen der zügigen Implementierung von „echten“ Innovationen und der möglicher­weise überhasteten Nutzung von Scheininnovationen zu finden. Dies ruft nach konstruktiver und kritischer Begleitung durch die Fachgesellschaften und Patientenorganisationen.


Autoren:

Dr. Katarina Braune
Charité – Universitätsmedizin Berlin, Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt Endokrinologie und Diabetologie, Augustenburger Platz 1, 13353 Berlin

Prof. Dr. Lutz Heinemann
Science-Consulting in Diabetes GmbH, Geulenstraße 50, 41462 Neuss