Dr. Andreas Lueg, Dr. Nikolaus Scheper

Welche Zukunft haben die diabetologischen Schwerpunktpraxen?

Die Digitalisierung bietet diabetologischen Schwerpunktpraxen Chancen, stellt sie aber auch vor manche Probleme. Gerade im Hinblick auf die Betreuung von Patientinnen und Patienten, die AID-Systeme verwenden, entsteht zum Beispiel ein Mehraufwand für das Praxispersonal – mit bisher nicht ausreichender Vergütung. Auf der anderen Seite kann sich die Weiterqualifizierung in den Praxen verbessern, wodurch auch Aufstiegs­chancen für Mitarbeiter bestehen.

Seit dem letzten D.U.T-Report ist ein Jahr vergangen. An den seinerzeit von uns geschilderten Problemen hat sich zwischenzeitlich nicht viel geändert. Die fehlende Konnektivität der Devices wie Pumpen, Sensoren und jetzt der Systeme zur automatischen Insulin-Dosierung (AID-Systeme) ist immer noch zu beklagen und wir sind auch weiter zur Nutzung von Cloud-­Lösungen gezwungen, weil Hersteller-Egoismen eine offene Schnittstelle, die auch die Auswertung über lokale Systeme in der Praxis ermöglichen würde, verhindern. Etwas aber hat sich doch bewegt: Es gibt jetzt die ersten Unternehmen, die den Nutzerinnen und Nutzern die Möglichkeit geben, der Nutzung ihrer Daten für Unternehmenszwecke zu widersprechen. Vielleicht lässt sich durch die Bevorzugung solcher Anbieter bei der Verordnung auch bei den anderen ein Umdenken und ein Bewusstseinswandel erreichen …

Aktuell halten gerade die ersten AID-Systeme als neueste Entwicklungen Einzug in die Praxen und Kliniken. Aktuelle Umfragen belegen, dass sowohl Patientinnen und Patienten als auch Ärztinnen und Ärzte diesen Systemen in den nächsten Jahren eine weite Verbreitung in der Therapie von Menschen mit Diabetes mellitus Typ 1 voraussagen.

Erste ­Unternehmen ­geben die ­Möglichkeit, der Nutzung von ­Daten für Unternehmens­zwecke zu ­widersprechen.

In diesem Artikel wollen wir uns mit den sich daraus ergebenden Konsequenzen für die Praxen, Kliniken, aber auch für deren Patienten beschäftigen und aufzeigen, wo sich unseres Erachtens wichtige Handlungsfelder auftun.

These 1: Der Fortbildungsbedarf ­aller Praxismitarbeitenden wird deutlich ­steigen!

Der fortschreitende technische Fortschritt bei den AID-Systemen erfordert schon jetzt eine intensive Fortbildung aller Praxismitarbeitenden. Dies wird sich auch in Zukunft nicht ändern, da fortlaufend neue Systeme in den Markt eingeführt werden.

These 2: Der Arbeitsanfall in der Praxis wird sich weiter erhöhen!

Der erhöhte Arbeitsanfall ist schon jetzt nicht nur für Diabetesberater/-beraterinnen und Ärzte/Ärztinnen merklich, sondern auch für die medizinischen Fachangestellten (MFA) sowie alle anderen direkt an der Versorgung beteiligten Tätigen der medizinischen Assistenzberufe.

Die Mehrarbeit für die MFA sind:

  • umfangreichere Hilfsmittelverordnungen bei zunehmend diversifizierten Hilfsmitteln von immer mehr Anbietern,
  • je nach Kostenträger unterschiedliche Versorgungszeiträume,
  • komplexere Patientenansprüche mit zeitaufwendigeren Kontakten am „Tresen“
  • u .a. m.

Für die Beratungskräfte der Praxis und Klinik ist vor allem der deutlich erhöhte Schulungs- und Einweisungsaufwand der Nutzerinnen und Nutzer relevant, da die neuen AID-Systeme nicht nur nicht selbsterklärend sind, sondern – bei entsprechender Schulung und Vorbereitung – auch komplexere Antworten auf komplexere Probleme geben können. Dabei spielen folgende Aspekte eine wichtige Rolle:

  • Umgang mit zahlreichen Cloud-Lösungen, weil bislang ein einheitliches Profi-Auswertetool nicht von allen Anbietern unterstützt wird,
  • stark erhöhter Schulungsaufwand pro Patient mit einer
  • steigenden Zahl von Einzelschulungen und individualisierten Beratungsterminen bei individuellen Fragestellungen,
  • mehr „Notrufe“,
  • aufgrund der Komplexität der technischen Lösungen Zunahme der ohnehin schon zahlreichen systemindividuellen Fallstricke und Fehlermöglichkeiten.

These 3: Der Mehraufwand ist zurzeit in keiner Weise durch eine adäquate Vergütung gedeckt!

Für die Ärzte und Praxisinhaber sowie Kliniken stellt die unzureichende bzw. fehlende Vergütung des beschriebenen erheblichen Mehraufwands ein besonderes Problem dar, da sich durch mehr und besser qualifiziertes Personal, welches in der Regel auch höher entlohnt werden will, die Kosten für die Praxis erhöhen.

Zusammenfassend seien als potenzielle Kostentreiber folgende Punkte genannt:

  • höherer Bedarf an besser qualifiziertem Personal,
  • mehr „Notrufe“,
  • längere – nicht vergütete – Gesprächs­dauer beim Arzttermin bei unverändert großen Zahlen von zu versorgenden Patienten,
  • komplexere technische Lösungen mit zahlreichen systemindividuellen Fallstricken und Fehlermöglichkeiten binden sämtliches an der Betreuung und Versorgung beteiligtes Personal, inklusive Arzt, länger an die einzelnen Patienten.

These 4: Diese ­Herausforderungen werden nicht mehr alle Praxen ­bewältigen können!

Die hausärztliche Ebene wird an dieser speziellen Versorgung nicht mehr nennenswert teilnehmen können, weil in dieser die Voraussetzungen dafür fehlen. Angefangen vom „Hilfsmittel-Dschungel“ bis hin zu den einzelnen AID-Systemen mit ihren systemindividuellen Anforderungen kann das dazu notwendige Know-how im hausärztlichen Bereich kaum weder vor- noch nachgehalten werden.

Die unzureichende bzw. fehlende ­Vergütung des erheblichen ­Mehraufwands stellt ein ­besonderes Problem dar.

Ebenso wird es große Schwierigkeiten in vielen stationären Einrichtungen geben: Schon heute stellt die „einfache“ Insulinpumpentherapie in vielen Krankenhäusern eine Überforderung dar. Inwieweit die bestehenden diabetologischen Schwerpunktpraxen diese Entwicklungen in ihren Leistungskatalog übernehmen werden, wird maßgeblich von der Alimentierung dieses Bereichs abhängen.

Patientinnen und Patienten, die mit AID-Systemen behandelt werden sollen, müssen intensiv geschult werden. Die rein technische Einweisung reicht für einen optimalen Einsatz dieser Systeme in keinem Fall aus. Das zu glauben, wäre gerade so, als würde die kurze Einweisung bei der Übergabe eines Leihwagens den Führerschein ersetzen.

Bisher weigern sich die Kostenträger, dies zu akzeptieren und die Kosten für die intensiven und zusätzlichen Schulungsmaßnahmen zu übernehmen. Es ist deshalb eine wichtige Aufgabe, den erheblichen Schulungsaufwand auch inhaltlich darzustellen.

Was bedeutet dies alles für die zukünftige Versorgungslandschaft für Patienten mit AID-Systemen?

Die Versorgung wird noch spezialisierter:

  • Hausärzte können diese wahrscheinlich nicht mehr bewältigen.
  • Krankenhausärzte stehen vor großen Herausforderungen bei der Behandlung von Patienten mit AID-Systemen und weiteren zukünftigen technischen Neuerungen.
  • Nicht alle diabetologischen Schwerpunktpraxen werden den großen Aufwand bewältigen können und wollen.
  • Die Versorgung einer zunehmenden Zahl von Patienten mit AID-Systemen wird sich wahrscheinlich auf wenige technikaffine und spezialisierte diabetologische Schwerpunkte konzentrieren.

Für Flächenländer kann dies zu einem großen Problem werden, das insbesondere die Patientinnen und Patienten belastet, die unter Umständen lange Wege zu diesen Schwerpunkten auf sich nehmen müssten. Und bei der momentan gültigen Abrechnungssitua­tion sind telemedizinische Werkzeuge zwar hilfreich, aber nicht die Komplettlösung solcher Probleme.

Telemedizinische ­Werkzeuge sind zwar hilfreich, aber nicht die Komplettlösung aller Probleme.

Was ist zu tun?

Es ist ein vordringliches berufspolitisches Anliegen, über eine adäquate Vergütung die Grundlage für eine Weiterentwicklung und damit eine ausreichend flächendeckende Versorgung zu schaffen.

Darüber hinaus sind intensive unabhängige Fortbildungsmaßnahmen notwendig, um mit einem „Bottom-up“-Ansatz auch die weniger technikaffinen Praxen und Zentren in der Diabetologie für die Versorgung von Patienten mit AID-Systemen auszubilden und für die Versorgung zu gewinnen.

Die oben geschilderten Herausforderungen für die Praxen treffen auf einen Arbeitsmarkt mit zunehmendem Fachkräftemangel. Dies ist gegenwärtig schon deutlich spürbar. Neben offenen Arztsitzen sind auch die Personalressourcen bei Diabetesberatern/-beraterinnen und zusätzlich zunehmend auch bei den medizinischen Fachangestellten begrenzt.

Die Praxen ­treffen auf einen Arbeitsmarkt mit zunehmendem Fachkräfte­mangel.

Hier bietet die Technisierung der Diabetes­behandlung aber auch Chancen, weil sich die Möglichkeiten zur Weiterqualifizierung in den Praxen verbessern und damit auch Aufstiegs­chancen für Mitarbeiter bestehen. Dies könnte den Arbeitsplatz „Praxis“ attraktiver machen. Dies ist auch dringend nötig, will man nicht die gleiche Entwicklung wie in den Pflegeberufen erleben, die heute schon ein großes gesellschaftspolitisches Problem darstellt und nicht kurzfristig zu lösen ist.

Alles steht und fällt aber mit der auskömmlichen Vergütung des in den diabetologischen Zentren betriebenen Mehraufwands – denn nur dann ist eine Entwicklung zu einer „AID-Versorgerpraxis“ auch betriebswirtschaftlich sinnvoll: eine Grundvoraussetzung für die dringend notwendige Weiterentwicklung, wenn Patientinnen und Patienten mit AID-Systemen auch zukünftig ausreichend ärztlich versorgt werden sollen!

Die ­Technisierung der Diabetes­behandlung ­bietet auch ­Chancen, weil sich die ­Möglichkeiten zur Weiter­qualifizierung in den Praxen ­verbessern und damit auch Aufstiegs­chancen für Mitarbeiter ­bestehen.


Autoren:

Dr. Andreas Lueg
Diabeteszentrum L1 Hameln, L1-Ärztehaus, Lohstraße 1, 31785 Hameln

Dr. Nikolaus Scheper
Diabetologische Schwerpunktpraxis, Praxis Dr. med. Scheper & Schneider & Veit, Bergstraße 167, 45770 Marl