Dr. Simone von Sengbusch, Dr. Hansjörg Mühlen

Telemedizin in Zeiten der Corona-Pandemie

Auch wenn es konkrete Ablehnungsgründe für Video-Schulung etc. gibt seitens der Praxen, Kliniken, Patienten: Der Politik und den Kostenträgern hat die Krise hoffentlich gezeigt, wie wichtig eine telemedizinische Infrastruktur zur Versorgung ist. Ob dies mittel- oder langfristig Konsequenzen hat?

Kein Thema hat die Medien und das Gesundheitswesen im Jahr 2020 mehr geprägt als die Diskussion über und Einschränkungen durch die Corona-Virus-Pandemie und die Erkrankung ­COVID-19. Der Schutz vor Infektion der Menschen stand klar im Vordergrund der Gesundheitspolitik und der Bemühungen der Ärztinnen und Ärzte und des Gesundheitswesens. Während dies bei banalen Problemen durch telefonische Beratung und bei elektiven Eingriffen durch Verschiebung der Behandlung leicht möglich war, konnte die Betreuung von Menschen mit chronischen Erkrankungen nicht unterbrochen oder verschoben werden. Daher haben telemedizinische Behandlungskonzepte einen vorher nicht zu erwartenden Aufschwung erlebt. Aus Gründen des Infektionsschutzes konnten Patienten aus den Praxen und Klinikambulanzen herausgehalten werden, ohne die Kontinuität der Behandlung zu unterbrechen. Diese erhebliche logistische und organisatorische Leistung konnten die meisten diabetologischen Schwerpunktpraxen und Klinik­ambulanzen nur bewältigen, weil die Dia­betologie gegenüber anderen ­Fachgruppen bereits vorher einen hohen Grad an digitalen Behandlungskonzepten in die tägliche Arbeit integriert hatte. Diese Chancen wurden genutzt, wobei gleichzeitig die schon bekannten eklatanten Mängel im Bereich der Digitalisierung in Deutschland noch mal deutlicher wurden.

Datensammlung

Grundlage jeder diabetologischen Behandlung sind weiterhin die Daten unserer Patienten. Insbesondere bei der telemedizinischen Betreuung von Patienten ist es daher erforderlich, die Daten von den unterschiedlichen Geräten in ein Praxisportal zu spiegeln. Der erste Ansatz hierzu sind cloudbasierte Programme zum Datenmanagement von Glukosemonitoringsystemen und Insulinpumpen. Es gibt keine ernst zu nehmenden diabetologischen Schwerpunktpraxen (DSP), die nicht zumindest eines der bekannten cloudbasierten Programme (siehe Tab. 1) nutzen. Wenn wir auch immer noch für jedes CGM-System ein eigenes Programm brauchen, ist die Nutzung in den Workflow der Praxis eingegangen. Nach dem meist einfachen Freigabeprozess durch den Patienten stehen die Daten der Praxis jederzeit zur Verfügung. Insbesondere bei einer telefonischen oder tele­medizinischen Konsultation (z. B. Video-Sprechstunde, verschlüsseltes Chatprogramm) kann dadurch eine Beratung basierend auf den aktuellen Daten erfolgen.

Tabelle 1: Cloudbasierte Programme von Herstellern von rtCGM- und iscCGM-Systemen und Insulinpumpen, die eine Synchronisierung von Patienten- und Praxis- oder Klinik-Account erlauben.

Wünschenswert wären weiterhin ein einheitlicher Datenstandard und damit dann Softwarelösungen, in denen die Daten aller Devices direkt (ohne vorherige Erstellung einer CSV-Datei) zusammenlaufen, sodass eine einheitliche Darstellung und Auswertung der Daten ermöglicht wird. Die jeweils unternehmensspezifischen Lösungen können nur eine Übergangslösung darstellen.

Datenmanagement mithilfe von Diabetestechnologie ist integraler Bestandteil der Behandlung. Diskutiert werden sollte, ob die Kosten für die Softwareprogramme, die allein dem Auslesen von Hilfsmitteln eines Herstellers dienen, im Preis der jeweiligen Geräte enthalten sein müssen, also zulasten der Krankenkassen gehen.

Telefonsprechstunde

Diese älteste Form der telemedizinischen Betreuung von Menschen hat während der Corona-­Pandemie eine Renaissance erlebt. Die telefonische Beratung ist fast jedem Menschen zugänglich und möglich. Insbesondere zu Beginn der Krise wurden Patienten telefonisch kontaktiert, um Termine in den Praxen abzusagen, Probleme abzufragen und kurze Beratungen durchzuführen. Viele Patienten waren für die aktive Kontaktaufnahme durch die Praxis sehr dankbar, da sie damit sahen, dass sich weiter um sie gekümmert wird und sie nicht gezwungen waren, in die Praxis zu kommen und sich damit einer potenziellen Infektionsgefahr auszusetzen. Patienten, die über die o. g. cloudbasierten Systeme ihrer Praxis die Daten freigegeben hatten, konnten nahezu unverändert weiter betreut werden. Die Politik hat dies honoriert, indem auch die Telefonkontakte vergütet wurden.

Eine telefonische Betreuung über ein oder zwei Quartale ist jedoch nur möglich, da im Vorfeld die technischen Voraussetzungen zur Ansicht von Patientendaten geschaffen wurden und die Praxen und Ambulanzen ihre Patienten durch die teils jahrelange Zusammenarbeit gut kennen.

Menschen mit einer Diabetesmanifestation oder mit weitreichenderen Problemen mussten weiterhin in die Praxis bzw. Klinik kommen. Jedoch konnte die Anzahl der Patienten, die die Praxis täglich besuchten, durch Telefonate so weit reduziert werden, dass die Wartezeit in der Praxis verkürzt und die Hygienebedingungen, z. B. durch Abstand, so verbessert wurden, dass auch für die Besucher das Infektionsrisiko minimiert werden konnte.

Video-Sprechstunde

Die Video-Sprechstunde hat durch die Corona-­Pandemie einen Boom erlebt, dass zeitweise die Portale überlastet waren. Hilfreich war sicher, dass in den meisten Bezirken der Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) der Videokontakt als persönlicher Kontakt anerkannt wurde und damit die Abrechnung einer ganzen Reihe von Ziffern möglich war, die Limitierung auf 50 Videokontakte pro Quartal aufgehoben und die Honorierung verbessert wurden. Viele Portalanbieter haben den Zugang zumindest vorübergehend kostenfrei zur Verfügung gestellt. Die Rahmenbedingungen, die technischen Voraussetzungen und die Honorierung sind in dem Sonderheft „Telemedizin: Chancen in der Dia­betologie – ein Leitfaden“ [Berlin-Chemie 2019] ausführlich dokumentiert.

Auf den anfänglichen Hype folgte die Ernüchterung wie bei der Einführung aller neuen Methoden: Die in vielen Gebieten Deutschlands unzureichende Internetabdeckung und Bandbreite (Konkurrenz von Home­office, Homeschooling, Streaming und Video-Sprechstunde in den privaten Haushalten) sind seit Langem bekannt und ließen sich nicht kurzfristig beheben. Zudem brauchen viele Patienten Hilfe und Schulung zur Einrichtung von Kamera, Lautsprecher und Mikrofon und zur Nutzung von Videoportalen. Auf der anderen Seite waren wir überrascht, wie viele Patienten aktiv nach einer Video-Sprechstunde gefragt und welche und wie viele Patienten die Video-Sprechstunde problemlos angenommen haben.

Der Vorteil der Corona-Pandemie ist sicher, dass nun viel mehr Ärztinnen und Ärzte sowie Diabetesberater/innen erste und mehr Erfahrungen mit der Video-Sprechstunde gesammelt haben. Das wird nachwirken, die Systeme werden mehr Nutzung erfahren (bisher haben wenige Praxen die Video-Sprechstunde fest im Alltag integriert). Obwohl sich die Video-Sprechstunde auch in Spezialambulanzen der Kliniken für die Versorgung anbietet, ist die Durchdringung mit dieser Beratungsform aufgrund fehlender Infra­struktur und vor allem Abrechnungs­optionen noch sehr gering.

Tele-Coaching

Wenn die Corona-Pandemie eins gezeigt hat, dann die Tatsache, dass die Basis der Behandlung insbesondere von Menschen mit chronischen Erkrankungen die persönliche Interak­tion des Behandlers mit dem Patienten im persönlichen Gespräch ist. Dies kann nicht durch Coaching-­Apps oder Callcenter ersetzt werden. Zweifelsohne ist das Coaching von Patienten zur Lösung spezifischer Probleme oder zur Einübung neuer Lebensroutinen sinnvoll und kann auch durch Apps oder externe Coaches erfolgen. Jedoch ist dies nur möglich im Rahmen eines ärztlich geführten Behandlungskonzepts, das den gesamten Menschen mit seinen spezifischen Lebensumständen erfasst.

Ein persönliches, längerfristiges Coaching ist für viele Patienten sicher sinnvoll, aber derzeit im Gesundheits- und Honorarsystem bis auf wenige Ausnahmen nicht abgebildet. Der Erfolg von Coaching-Apps, beginnend bei Schrittzählern mit interaktiven Challenges bis zu Ernährungsprogrammen, zeigt, dass eine zunehmend größer werdende Gruppe von Patienten vor allem der jüngeren und mittleren Generation einem Online-Coaching zugänglich ist und davon profitiert.

Video-Schulung und Video-Workshops

Der Versuch, Patienten möglichst aus den Praxen und Ambulanzen herauszuhalten, legte das Angebot von Video-Schulungen nahe. Die Diskussion darum hat mannigfaltige Reaktionen ausgelöst, die zwischen einem sofortigen Umsetzungsversuch bis zur Ablehnung einer Video-Schulung als Option gelegen haben.

Bei der Diskussion um Video-Schulungen müssen 2 Formen grundsätzlich unterschieden werden: Als Schulung werden in der Regel die evaluierten und zertifizierten Schulungsprogramme bezeichnet. Die Schulungsprogramme können auch in Form einer Videokonferenz durchgeführt werden. Entsprechende Folien können wie bei der Präsenzveranstaltung gezeigt werden. Ebenso sind die gemeinsame Erarbeitung von Themen am Whiteboard (im Fall der Video-Schulung eine Powerpoint-Folie oder ein Word-Dokument) wie auch Fragen und Diskussionen der Teilnehmer möglich.

Allerdings liegt die Domäne der Video-Schulung eher im Bereich der Wissensvermittlung. Gruppendynamische Prozesse kommen kaum auf, was allerdings auch für einen Teil der Präsenzschulungen zutrifft. Bei neu manifestierten Patienten oder bei Insulineinstellungen war die Video-Schulung gut geeignet und konnte ein Infektionsrisiko der Patienten in einer Praxis durch das Setting verhindern.

Die Domäne der Video-Schulung liegt eher im Bereich der Wissensvermittlung. Gruppendynamische Prozesse kommen kaum auf.

Hiervon sind Workshops zu unterscheiden, die sehr gut für Videokonferenzen geeignet sind, da hier der Fokus klar auf die Wissensvermittlung gerichtet ist: Diese greifen entweder Einzelaspekte der Schulungsprogramme (KE-Schätzung, Insulinanpassung bei ICT, Insulinanpassung bei Sport) oder Themen auf, die eine größere Gruppe von Patienten interessieren, aber bisher nicht durch Schulungsprogramme abgedeckt wurden oder werden können (z. B. Information zu Insulinpumpen oder Sensoren). Zu Beginn der Corona-Pandemie haben einige Praxen in der KV Nordrhein Workshops angeboten mit dem Thema „Verhalten bei Corona-­Infektion“. Inhalte waren z. B. Insulinanpassung bei Infektion oder Packliste für das Krankenhaus. Diese Workshops wurden sehr dankbar angenommen, da sie die Sorgen der Patienten aufgriffen und ein echter Informations­bedarf bestand. Naturgemäß ist das Interesse an diesem Thema derzeit deutlich gesunken.

Wir haben bereits beim D.U.T-Report 2019 versucht, das Thema „Tele-Learning und E-Learning“ differenzierter zu betrachten, und verweisen in diesem Zusammenhang ausdrücklich auch auf diesen Artikel.

Video-Schulung: Ablehnungsgründe

Die Ablehnungsgründe für die Durchführung von Video-Schulungen seitens der Praxen und Kliniken sind vielfältig und sollen im Folgenden diskutiert werden.

Es geht nicht darum, eine Schulungsform für alle Patienten zu finden, sondern die richtige für den individuellen ­Menschen.

1. Unzureichende Internetanbindung von Patienten und Praxis

Zweifelsohne ist die ausreichend schnelle Internet­abdeckung in Deutschland lückenhaft, und es ist verständlich, dass eine Praxis ohne gute Internetverbindung auch keine Video-Schulung durchführen kann. Das darf aber nicht zu einer Ablehnung des Formates führen, sondern sollte eher zu einem höheren Druck auf die Politik führen, um diesen Mangel abzuschaffen.

2. Mit Video-Schulung erreicht man nicht alle Patienten

Das Gleiche gilt auch für Präsenzschulungen. Es geht nicht darum, eine Schulungsform für alle Patienten zu finden, sondern die richtige für den individuellen Menschen. Gerade die Digitalisierung kann das „one fits for all“ abschaffen und einen höheren Grad der Personalisierung erreichen. Dies gilt auch für die Art und Weise der Schulung, der Wissensvermittlung und der Verhaltensänderung.

3. Fehlende Honorierung

Die Honorierung von Video-Schulungen war lange ungeklärt. Erst im Laufe des 2. Quartals 2020 wurde die Video-Schulung von zahlreichen KVen und Krankenkassen als Schulung anerkannt und den Präsenzveranstaltungen gleichgestellt. Nun kommt es darauf an, die Honorierung für die Video-Schulung zu erhalten.

4. Unzureichender Datenschutz

Datenschutzprobleme bei Videodienstanbietern haben dazu beigetragen, die Videokonferenz nicht zur Schulung zu nutzen. Inwieweit es bei Video-Schulungen ein Datenschutzproblem gibt, muss mit juristischer Fachkenntnis diskutiert werden. Auf jeden Fall muss der Patient eine gesonderte Datenschutzerklärung abgeben, und es erscheint sinnvoll, sich als Teilnehmer nicht mit dem Klarnamen, sondern mit einem Avatar- oder Fantasienamen anzumelden. In der Videokonferenz werden so keine Namen genannt und keine Patientendaten dargestellt.

5. Von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) zertifizierte Videoprogramme

Von den Krankenkassen und den KVen wurde für die Honorierung von Video-Schulungen die Nutzung von KBV-zertifizierten Videoportalen verlangt. Diese Portale boten aber nur ­eine Peer-to-Peer-Verbindung zwischen Arzt und Patient, eine Konferenzschaltung war nicht Teil des Konzeptes. Hier wurde eine Analogie zu den Video-Sprechstunden hergestellt. Das Problem war, dass es keine von der KBV zertifizierten Videokonferenzsysteme gab. Mittlerweile haben die Anbieter von Video-Sprechstundenportalen reagiert und ermöglichen zum Teil auch über ihre Portale die Videokonferenz mit mehreren Teilnehmern. Allerdings haben sie nicht den Funktionsumfang und die Videoqualität professioneller Videokonferenzsysteme.

6. Keine Evaluierung und Zertifizierung der Schulungsprogramme als Video-Schulung

Es ist richtig, dass die Evaluierung der Schulungsprogramme sich auf eine Präsenzschulung bezieht. Jedoch dürfte kein praktischer Anwender einen Zweifel daran haben, dass der positive Effekt einer Schulung auch durch die Vermittlung in einer Videokonferenz erzielt wird. Selbst der Entwickler der meisten Schulungsprogramme, das Forschungsinstitut Dia­betes-Akademie Mergentheim (FIDAM), sieht in der Anwendung als Video-Schulung kein Problem. Zudem werden die Schulungen in der Regel nicht streng nach dem Curriculum durchgeführt, sondern werden von den Diabetes­beraterinnen und -beratern an die jeweiligen Gruppen angepasst. Dies ist sinnvoll, notwendig und sogar ausdrücklich gewünscht.
Aktuell kann ein Schulungsprogramm nur akkreditiert werden, wenn es auch evaluiert wurde. Die Akkreditierung ist die Voraussetzung für eine Honorierung in Klinik und Praxis. Es ist zu diskutieren, ob statt einer lang dauernden und kostenintensiven Evaluierung die Zertifizierung und Zulassung eines neuen Schulungsprogramms durch eine Fachkommission nicht schneller, preiswerter und effizienter wäre.

7. Video-Schulung in Praxen und Kliniken ­öffnet den Markt für Video-Schulung durch Fremd­anbieter und Industrie

Die Online- und Video-Schulung ist bereits jetzt Realität. Dies ist auch durch ein Evaluierungsverfahren nicht aufzuhalten, sondern begünstigt eher Fremdanbieter. Die Forderung muss sein, dass eine Schulung, in welcher Form auch immer, Bestandteil einer ärztlichen Behandlung ist und bleiben muss. Jede Schulung hat das Ziel, das theoretische und praktische Dia­beteswissen zu erhöhen und eine Änderung der Therapieroutinen zu erreichen. Dies kann unmittelbar zur Notwendigkeit einer Anpassung der medikamentösen Therapie führen, weshalb Schulung in den Kontext einer ärztlich geführten Behandlungsstrategie gehört.

Wenn die diabetologischen Praxen und Ambulanzen keine Online-­Schulung anbieten, wird das Vakuum durch andere ausgefüllt.

Davon abzugrenzen sind kostenfreie Kurzschulungen per Videoclip zu speziellen Aspekten der Diabetesbehandlung, die von ärztlichem oder nichtärztlichem Fachpersonal angeboten werden, aber auch von Patienten in Social-­Media-Kanälen aus eigenem Engagement heraus. Die Angebote sind hilfreich, ersetzen aber keine strukturierte Schulung. Zu nennen sind hier auch Video-Schulungen durch Hersteller von Hilfsmitteln, die technische Einweisungen in ihre Produkte in einem 1:1-Video-Setting anbieten, wenn eine persönliche Schulung aufgrund von Hygieneauflagen im Rahmen der Corona-­Pandemie nicht möglich ist.

In einer bisher unveröffentlichten Befragung zur Video-Gruppenschulung, die gemeinsam von dem wissenschaftlichen Institut der niedergelassenen Diabetologen (winDiab), dem Bundesverband Niedergelassener Diabetologen (BVND), dem Verband der Diabetes-Beratungs- und Schulungsberufe in Deutschland (VDBD) und dem FIDAM im Mai/Juni 2020 durchgeführt wurde, antworteten 360 Personen (257 Diabetesberater/innen und 103 Ärztinnen/Ärzte) aus allen KV-Bezirken. Die Teilnehmenden (81,1 % weiblich, 18,9 % männlich) kamen zu fast zwei Drittel aus städtischen Praxen (63,9 %) und zu einem Drittel aus Einzelpraxen (32,3 %). 25,3 % der Praxen hatten schon mal eine Video-Schulung durchgeführt, wobei 61,4 % der Praxen und 41 % der Patienten die technischen Voraussetzungen hierfür hätten.

Bei fast der Hälfte der Praxen (48,9 %) wäre eine Video-Schulung gut möglich, und über die Hälfte der Schulungskräfte (55,3 %) verfügte über die technische Kompetenz, Video-Schulungen durchzuführen, wobei auch 50,7 % dazu bereit seien.

Interessant ist eine Differenzierung der Antworten zwischen den Teilnehmenden mit Erfahrung (25,3 %) und ohne Erfahrung mit Video-Schulung. Der Frage, ob eine Video-Schulung in der Praxis gut möglich sei, stimmten 71,6 % der Teilnehmenden mit Erfahrung zu. Die Teilnehmenden mit Erfahrung standen der Video-Schulung insgesamt positiver gegenüber und sahen weniger Probleme als jene ohne Erfahrung. Aber auch Personen, die bisher keine Erfahrung mit Video-Schulungen hatten, sahen zu 41,2 % gute Möglichkeiten in der Praxis, und bei 46,5 % hat sich die Bereitschaft erhöht, diese anzubieten.

Ebenfalls die Hälfte der Teilnehmenden räumte ein, dass während der Corona-Pandemie die Video-Schulung eine Alternative zur Präsenzschulung darstelle, während 38,4 % unentschieden waren und nur 13,8 % dies verneinten. Der überwiegende Anteil (63,5 %) stimmte aber der Aussage zu, dass durch die Corona-­Pandemie die Vor- und Nachteile der Video-Schulung gegenüber der Präsenzschulung offensichtlich seien. Interessant war, dass sich fast die Hälfte der Teilnehmenden vorstellen konnte, dass Video-Schulungen auch nach der Corona-Pandemie ein fester Bestandteil des Praxisangebotes bleiben könnten.

Das Angebot an Video-Schulungen ist sicher auch aus technischen Gründen nicht flächendeckend möglich, stellt aber für viele Praxen eine Alternative bzw. Ergänzung der Präsenzschulungen dar. Interessant wäre sicher, die Befragung nach Abklingen der Corona-Pandemie zu wiederholen.

Die Corona-Pandemie hat verdeutlicht, dass es Patientengruppen gibt, die auch langfristig die Form der Video-Sprechstunde oder Video­einzel- bzw. -gruppenschulung bevorzugen, während andere Gruppen dies nur im Rahmen der Pandemie akzeptierten oder aber ganz konkret den ärztlichen Kontakt und Schulung durch das Fachpersonal vor Ort wünschte. Wie sich die langfristige Akzeptanz von Videokontakt­möglichkeiten entwickelt, bleibt abzuwarten.

Die technischen Probleme waren eher gering und konnten rasch behoben werden. Ein entscheidender Faktor ist die Wahl des Video­portals, da sich die Stabilität und die Funktionalität der einzelnen Portale sehr unterscheiden.

Qualifikation im Praxisteam

Bisher bezog sich Fort- und Weiterbildung im Praxisteam eher auf medizinische oder organisatorische Inhalte. Im Rahmen der Digitalisierung und der Digitale-Gesundheitsanwendungen-­Verordnung (DiGA: verordnungs­fähige Apps) kommt nun eine neue Qualität dazu: die Anwendung von Apps, Chats und Videoprogrammen. Es kann nicht vorausgesetzt werden, dass dies Patienten intuitiv können oder sich selbst beibringen. Ebenso wenig kann dies in der Sprechstunde nebenbei erfolgen. Sollen diese Anwendungen einen medizinischen Nutzen haben bzw. in die Routine des Praxisablaufes integriert werden, müssen die Patienten eingewiesen und geschult werden wie bei jedem anderen Device auch (Pen, Pumpe, CGM-System). Hierfür brauchen die Praxen einen Technik-Coach für die Patienten (und evtl. auch für andere Mitarbeitende der Praxis). Dies eröffnet für viele Mitarbeitende von Praxen eine Möglichkeit zur Weiterbildung bzw. für viele Berufsbilder einen Einstieg ins Gesundheitswesen.

Ausblick

Die Autoren dieses Beitrags sind der Überzeugung, dass die Zukunft den integrierten Anwendungen gehört, die einen hohen Grad der Inter­operabilität verwirklichen und ein kontinuierliches Telemonitoring erlauben. Entsprechende Anwendungen sind in der Entwicklung. Wir wünschen uns, dass die Chancen der Digitalisierung und der Telemedizin nicht durch hohe Hürden der Gesetzgebung und vorbei am Versorgungsalltag in Kliniken und Praxen verspielt werden.

Resümee

Durch die Corona-Pandemie ist die telemedizinische Versorgung von Patienten in den Vordergrund gerückt, und viele Praxen und Ambulanzen hatten die Chance, mehr Erfahrungen im Bereich Video-Sprechstunde und Video-Schulung zu erlangen. Auch wenn der Boom derzeit abflacht, werden die Erfahrungen bleiben und bei einigen die Versorgungsstruktur verändern.

Ein Vorteil war sicher, dass die Diabetologie gegenüber anderen Fachgruppen einen hohen Grad an Einsatz digitaler und telemedizinischer Anwendungen hatte und so rasch auf die Krise reagieren konnte, ohne dass es zu wesentlichen Problemen in der Versorgung kam.

Der Politik und den Kostenträgern hat die Krise hoffentlich gezeigt, wie wichtig eine tele­medizinische Infrastruktur zur Versorgung ist. Ob dies mittel- oder langfristig Konsequenzen hat, bleibt abzuwarten. Was wir im Laufe der Pandemie gelernt haben, hat Bedeutung für die Zukunft der Patientenbetreuung.


Literatur:

  1. Berlin-Chemie: Telemedizin: Chancen in der Diabetologie – ein Leitfaden. Sonderheft zur diabetes zeitung Nr. 7/8 vom 28.08.2019. https://www.medical-tribune.de/fileadmin/Bilder/­landingpage/digitalcorner/MTD_Broschuere_Telemedizin_­DigitalCorner.pdf (Zugriff: 09.12.2020)
  2. Frielitz FS, Müller-Godeffroy E, Hübner J, Eisemann N, Dördelmann J, Menrath I, Katalinic A, Hiort O, von Sengbusch S: Monthly video-consultation for children with type 1 diabetes using a continuous glucose monitoring system: design of ViDiKi, a multimethod intervention study to evaluate the benefit of telemedicine. J Diabetes Sci Technol 2020; 14: 105 – 111
  3. Hormonzentrum für Kinder und Jugendliche des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein: Virtuelle Diabetesambulanz für Kinder und Jugendliche. https://www.uksh.de/kinderhormonzentrum-­luebeck/vidiki.html (Zugriff: 09.12.2020)
  4. Medtronic: Your first day is our everyday. Always by your side. The StartRightSM Program. https://www.medtronicdiabetes.com/services/startright (Zugriff: 09.12.2020)

Autoren:

Dr. Simone von Sengbusch
UKSH Campus Lübeck, Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, Sektion Pädiatrische Endokrinologie und
Diabetologie, Ratzeburger Allee 160, 23538 Lübeck

Dr. Hansjörg Mühlen
Diabetologikum Duisburg, Ruhrorter Straße 195, 47119 Duisburg