Prof. Dr. Bernhard Kulzer, Nico Richter, Sabine Hochstadt

Start der elektronischen Patientenakte

Zum 1.1.2021 startete die elektronische Patientenakte (ePA), ein zentraler Baustein für die Digitalisierung des Gesundheitswesens – aber nur in einer abgespeckten Version. Mit einer ePA-kompatiblen elektronischen Diabetesakte (eDA) sollen schon ab 2022 Diabetesdokumente und wesentliche diabetesrelevante Daten zusammengeführt werden.

Die Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA) ist eine der Mammutaufgaben des deutschen Gesundheitswesens und gleichzeitig das größte europäische Digitalprojekt im Gesundheitswesen. Nicht weniger als potenziell 73 Millionen Versicherte in Deutschland sollen die Möglichkeit bekommen, eine ePA mit wichtigen Gesundheitsdaten zu befüllen, mehr als 200 000 Leistungserbringer und 105 Krankenkassen werden miteinander vernetzt. Der Startschuss für die ePA erfolgte am 1.1.2021 – allerdings zuerst in einer Testphase mit Einschränkungen und einer Pilot-Version.

In anderen Ländern ist die ePA ­mittlerweile etabliert

Vor 17 Jahren (14.11.2003) wurde mit dem GKV-Modernisierungsgesetz die Einführung der elektronischen Gesundheitsakte beschlossen. Diese gewaltige, strukturelle Neuerung im Gesundheitswesen erforderte bis zur Umsetzung eine intensive Planung, sowie Zeit- und Budgetressourcen. Viele anderen europäischen Länder haben bereits einige etablierte digitale Gesundheitsprodukte und -projekte. Dort ist die Telematikinfrastruktur schon so ausgereift, dass die elektronische Gesundheitsakte mittlerweile in unterschiedlichen Versionen hinsichtlich des Umfangs, der Datenverantwortlichkeit und der Datenhoheit zur Routine für Patienten und Leistungserbringer geworden ist. Neben den nordischen Ländern, die teilweise schon jahrzehntelange Erfahrung mit der ePA haben (z. B. Dänemark, Finnland), ist die elektronische Patientenakte auch in anderen Nachbarländern (z. B. Österreich, Schweiz) schon eingeführt bzw. wird gerade eingeführt (siehe Tabelle 1).

Tabelle 1: Die ePA in Dänemark und Finnland.

Tabelle 1: Die ePA in Österreich und der Schweiz.

Viele anderen europäischen Länder haben bereits einige etablierte digitale Gesundheitsprodukte und -projekte.

Funktionsfähige ­Telematikinfrastruktur ist Voraussetzung für die ePA

Auf der anderen Seite kann das Projekt „ePA“ nur gelingen, wenn die digitale Infrastruktur, die dazu notwendig ist, zur Verfügung steht. Dazu gehören rechtsverbindliche Standards und Spezifikationen für alle Komponenten und Dienste, die in der Telematikinfrastruktur von allen Leistungserbringern verwendet werden. Dies ist die Voraussetzung dafür, dass die Funk­tio­nalität, die Kompatibilität und die Sicherheit der ePA so gut gewährleistet und sichergestellt ist, dass alle Akteure im Gesundheitswesen genügend Vertrauen in digitale Lösungen haben. Dafür müssen die Nutzer einen gefühlten Vorteil durch diese Anwendungen haben und Zugriffsrechte und Datenspeicherung/-sicherheit müssen transparent geregelt sein. Letztere ist auch der Hauptgrund für die neuerliche Verzögerung des Starts der ePA, die ab dem 1.1.2021 zunächst in der ersten Jahreshälfte 2021 in 200 Arztpraxen in Berlin und Westfalen-Lippe getestet werden soll. Zwar müssen und wollen die Krankenkassen den gesetzlich Versicherten eine digitale Akte bereitstellen, diese kann jedoch außerhalb des kleinen Feldtests nicht gefüllt werden und bringt erst einmal für die Nutzer keinen Mehrwert.

Holpriger Start der ePA

Eine wichtige Ursache für die de facto erneute Verschiebung des Starts der ePA um ein weiteres halbes Jahr sind die fehlenden technischen Komponenten auf Seiten der Ärzte, die noch nicht so vorhanden sind, um die ePA gleich bundesweit zu starten. Bislang haben nur zwei Konnektor-Hersteller (secunet, Rise) mit der für die ePA benötigten neuesten Konnektor-­Version namens PTV4 die Zulassung bekommen, um mit einem für die endgültige Zulassung erforderlichen Feldversuch („Friendly-­User-Test“) zu starten, was in den Testpraxen in Berlin und Westfalen-Lippe erfolgt. Das Unternehmen Compu­Group Medical, Marktführer auf dem Gebiet der Arzt-Verwaltungsprogramme (Praxisverwaltungssysteme, PVS), hat noch nicht einmal eine Zulassung für den Friendly-­User-Test. Noch schwieriger ist die Integration der ePA in die IT-Systeme der Arztpraxen. Laut gematik haben bis Dezember 2020 erst 3 der 285 Systemversionen die Schnittstelle zur ePA schon integriert. Trotzdem geht die gematik davon aus, dass bis zum 1.7.2021 die Arztpraxen flächendeckend mit den entsprechenden Konnektoren und ePA-Schnittstellen ausgestattet sind. Aufgrund dieses holprigen Starts rechnet der Chef der gematik, Dr. Markus Leyck Dieken, damit, dass 2021/2022 nur ca. 10 Prozent der Bürger die ePA nutzen werden [Olk 2020]. Trotzdem soll die ePA 2021 in drei Phasen in Deutschland eingeführt werden:

Seit 1.1.2021:

  • Alle gesetzlich Versicherten erhalten auf Wunsch von ihrer Krankenkasse eine App zum Download, um den Zugang zur elektro­nischen Krankenakte zu bekommen.
  • Die Patienten können ihre ePA mit Dokumenten, Arztbriefen, Befunden etc. befüllen und selbst verwalten. Anfangs müssen die Dokumente, die den Versicherten nicht digitalisiert vorliegen, noch mit dem Handy oder Tablet eingescannt werden.
  • Allerdings wird die Vernetzung mit den Leistungserbringern nur versuchsweise in 200 Arztpraxen in Berlin und Westfalen-Lippe möglich sein.
  • Auch Krankenhäuser waren laut Gesetz bis zum 31.12.2020 an die Telematikinfrastruktur anzuschließen. Allerdings müssen sie erst ab dem 1.1.2022 mit Sanktionen für eine Nicht-Anbindung rechnen (1 Prozent der Erstattungssumme, die Kliniken von den Krankenkassen erhalten) [Deutsche Krankenhaus-Gesellschaft 2020].

1.4.2021 – 30.6.2021: Die ePA wird mit den rund 200 000 niedergelassenen Ärzten und Zahnärzten verbunden.

Ab 1.7.2021: Bis zu diesem Termin sind alle Ärzte und Zahnärzte gesetzlich verpflichtet, sich an die ePA anzuschließen, ansonsten droht ein Honorarabzug von 1 Prozent.

  • Versicherte können ihre ePA mit ihrer elektronischen Gesundheitskarte und einer PIN, die ihnen von ihrer Krankenkasse zugestellt wird, auch direkt in der Arztpraxis bzw. beim Leistungserbringer nutzen.
  • Versicherte haben das Recht, die ePA mit Daten, die ihren Behandlern im Zusammenhang mit der aktuellen Behandlung digital vorliegen, befüllen zu lassen.
  • Die Arztpraxis nutzt das Praxisverwaltungssystem (PVS) und lädt die lokal gespeicherten Daten in die ePA hoch.

Das Anrecht gesetzlich Versicherter auf die ePA

Mit dem Patientendaten-Schutz-Gesetz (PDSG) in der Fassung vom 20.10.2019 wurden die Rahmenbedingungen zur flächendeckenden Einführung einer elektronischen Patientenakte (ePA) in Deutschland konkretisiert und darin wurde auch festgelegt, dass gesetzlich Versicherte seit dem 1.1.2021 ein Anrecht auf die Nutzung einer ePA haben. Diese wird von den Krankenkassen als App kostenlos bereitgestellt und kann auf mobilen Endgeräten wie dem eigenen Smartphone oder einem Tablet installiert werden.

Die elektronische Patientenakte (ePA) ist eine „­patientengeführte ­Akte“: Das bedeutet, dass der Patient entscheidet, welche Daten gespeichert werden und wer worauf zugreifen darf.

Dies sind die wichtigsten Rahmenbedingungen der ePA:

Patientenakte: Die ePA ist eine patientengeführte Akte, in der Patienten zukünftig lebenslang ihre gesundheitsbezogenen Daten speichern und verwalten können. „Patientengeführt“ bedeutet nach § 341 Abs. 1 SGB V, dass der Patient entscheidet, welche Daten in der ePA gespeichert oder wieder gelöscht werden und wer auf welche Daten in der ePA zugreifen darf.

Freiwilligkeit: Die Nutzung ist für die Versicherten freiwillig. Entscheidet sich ein Versicherter für die Nutzung einer ePA, hat er nach §§ 347 und 348 SGB V einen Rechtsanspruch auf die Befüllung seiner Akte durch die Leistungserbringer.

Ausgabe durch Krankenkassen: Die ePA wird den Versicherten von den Krankenkassen auf Antrag zur Verfügung gestellt. In der Regel sind zunächst ein Zugang für den Online-Bereich der Krankenkasse und eine App erforderlich, die aus dem jeweiligen Store (Google Play/Apple Store) heruntergeladen werden kann. Für die Regis­trie­rung werden benötigt: die Krankenversicherungsnummer, eine PIN für die Gesundheitskarte, die von der Krankenkasse geschickt wird, und eine gültige E-Mail-Adresse. Versicherte ohne Smartphone können die ePA auch schriftlich bei der Krankenkasse anfordern, dann wird die Akte beim nächsten Arztbesuch nach Freigabe durch den Nutzer aktiviert.

Austausch von Gesundheitsdaten: Dem Versicherten sollen auf dessen Verlangen wichtige Gesundheitsinformationen zu Befunden, Diagnosen, durchgeführten und geplanten Therapiemaßnahmen sowie zu Behandlungsberichten zur Verfügung gestellt werden. Die ePA soll den Austausch von Daten und Dokumenten des Patienten zwischen den an seiner Behandlung beteiligten Leistungserbringern wie Ärzten, Psychotherapeuten, Zahnärzten, Apotheken, Krankenhäusern ermöglichen.

Sektorenübergreifende Nutzung: Die ePA soll einrichtungs-, fach- und sektorenübergreifend genutzt werden.

Barrierefreiheit: Um alle Bevölkerungsgruppen zu erreichen, wird die ePA barrierefrei sein.

Zugriffsrechte: Versicherte können die Zugriffsfreigabe sowohl zeitlich als auch inhaltlich begrenzen. 2021 kann der Zugriff auf die Informationen beschränkt werden, die von Ärzten oder anderen Leistungserbringern zur Verfügung gestellt wurden. Auch können die von den Versicherten selbst hochgeladenen Dokumente vom Zugriff ausgenommen werden oder der Zugriff nur auf die von ihnen eingestellten Dokumente erteilt werden. Ab 2022 kann per App für jedes Dokument einzeln festgelegt werden, wer darauf zugreifen darf – oder es kann der Zugriff auf bestimmte Kategorien von Dokumenten und Datensätzen begrenzt werden (z. B. Diabetologen, aber nicht Psychotherapeuten).

Honorar: Für die Befüllung der ePA pro ambulanten, voll- oder teilstationären Fall, bei dem Daten in die ePA übertragen werden, können 10 Euro abgerechnet werden. Für Patienten anderer Kostenträger wie der privaten Krankenversicherung haben die Vertragspartner ein Zuschlagsvolumen vereinbart (§ 334 SGB V). Beschränkt auf 2021 bekommen Krankenhäuser eine Beratungspauschale bei erstmaliger Befüllung mit medizinischen Behandlungsdaten von 5 Euro.

Weiterentwicklung der ePA

Sowohl das Bundesgesundheitsministerium als auch die gematik sprechen bei der Einführung der ePA von einem lernenden System, das schrittweise eingeführt werden soll. Während im Moment Kritiker noch von einer „ePA light“ oder „pdf-Ablage“ sprechen, sollen in den nächsten Jahren stufenweise mehr Funktionen hinzukommen.

Im Moment keine ePA für privat ­versicherte Patienten

Im Gegensatz zu den gesetzlichen Krankenkassen müssen private Krankenversicherer ihren Versicherten seit dem 1.1.2021 keine ePA anbieten. Wahrscheinlich wird dies auch nicht vor 2024 oder 2025 möglich sein, denn so lange wird es voraussichtlich dauern, bis die gematik, die für die Telematikinfrastruktur in Deutschland zuständig ist, alle Spezifikationen für die privat Krankenversicherten umgesetzt hat.

Um diese Zeit zu nutzen, hat 2020 der fünftgrößte private Krankenversicherer Signal Iduna entschieden, gemeinsam mit dem Anbieter Research Industrial Systems Engineering (­RISE) eine elektronische Patientenakte (ePA) für seine Kunden zu entwickeln, die auch weitere Mehrwertdienste für Privatversicherte wie die elektronische Abrechnung der Leistungen bietet. Geplant ist, diese Entwicklung auch anderen privaten Versicherungen zur Verfügung zu stellen.

Wer privat krankenversichert ist, muss wohl noch bis 2024 oder 2025 auf eine elektronische Patientenakte ­warten.

2012 war der Verband der Privaten Krankenversicherung (PKV) im Streit um die elektronische Patientenakte als Gesellschafter der gematik ausgestiegen. Doch im Mai 2020 erfolgte die Kehrtwende, und die gematik-Gesellschafter haben der Wiederaufnahme des PKV-Verbands zugestimmt. Denn langfristig ist es unsinnig und viel zu teuer, parallele Strukturen aufzubauen. So sollen auch zukünftig privat Versicherte an der Telematikinfrastruktur (TI), die von der gematik konzeptioniert, eingeführt und betrieben wird, partizipieren und Anwendungen wie die elektronische Patientenakte nutzen können.

Tabelle 2

Positive Haltung gegenüber der ePA, jedoch Informationsbedarf

Das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage im Rahmen des Gesundheitsmonitors des Bundesverbands der Arzneimittelhersteller [Bundesverband der Arzneimittelhersteller2020] im Jahr 2020 zeigt, dass drei von vier Deutschen der elektronischen Patientenakte (ePA) gegenüber positiv eingestellt sind. Fast 64 Prozent der Umfrageteilnehmer würde zudem allen behandelnden Ärzten Zugriff auf die Patientendaten der EPA ermöglichen. 71 Prozent wären auch dazu bereit, die Daten zu Forschungszwecken zur Verfügung zu stellen, 15 Prozent sogar mit personenbezogenen Daten. Angst vor dem Missbrauchspotenzial bei der digitalen Sammlung der Gesundheitsinformationen haben allerdings 27 Prozent der Befragten [Endris 2020].

Eine ebenfalls repräsentative Studie aus dem Jahr 2019 ergab sogar eine Zustimmung von über 90 Prozent der Bevölkerung. Besondere Vorteile der ePA werden vor allem bei der Notfallversorgung, der Zeitersparnis bei der Informationsbeschaffung und -bewertung und im besseren Informationsaustausch zwischen Ärzten und Krankenhäusern gesehen. Rund zwei Drittel der Menschen würden nach dieser Studie ihren Impfstatus, Laborwerte, Röntgenbilder und EKG-Befunde in ihrer Patientenakte an andere Leistungserbringer freigeben, bei der Behandlung einer akuten Krankheit sogar mehr als 80 Prozent. Am meisten Vertrauen für die Freigabe medizinischer Informationen genießt dabei der Hausarzt. Gerade ältere Menschen standen der Patientenakte besonders aufgeschlossen gegenüber – sie würden die meisten Funktionen sogar intensiver nutzen als der Durchschnitt der Bundesbürger [pronovaBKK 2019].

Ärzte fühlen sich einer repräsentativen Umfrage mit 1 000 Ärzten [Barmer 2020] zufolge nur bedingt gut auf die Einführung der elektronischen Patientenakte vorbereitet. So wünschen sich 94 Prozent mehr Informationen über ihre Aufgaben rund um die ePA. Nur 27 Prozent fühlen sich demnach gut oder sehr gut gewappnet, Patienten bei der Nutzung der ePA zu unterstützen, 40 Prozent sind noch unentschieden. 57 Prozent der Befragten wünschen sich mehr Informationen zur Patientenakte als Instrument zur Zusammenarbeit mit anderen Ärzten.

„KIM“ kommt: Kommunikation im ­Medizinwesen

Um auf einem sicheren Weg Nachrichten über die Telematikinfrastruktur zwischen verschiedenen Leistungserbringern des Gesundheitswesens auszutauschen, wurde seit 2018 das Verfahren „Sicheres Übermittlungsverfahren KOM-LE“ von der gematik entwickelt. Im März 2020 wurde das Projekt in KIM (Kommunikation im Medizinwesen) umbenannt. KIM beinhaltet ein sektorenübergreifendes, sicheres E-Mail-Austauschverfahren, das ausschließlich Berufsgruppen im Medizinbereich (Leistungserbringer) für die Kommunikation untereinander zur Verfügung steht und in die der Patient nicht eingebunden ist. Damit ist der Versand von Nachrichten mit Anhängen und Zusatzdokumenten (z. B. elektronischer Arztbrief, elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu den Krankenversicherungen) und ohne Anhänge/Zusatzdokumente per End-zu-End-Verschlüsselung möglich. Angesicht von allein rund 15 Millionen Arztbriefen pro Jahr, die bislang per Post oder Fax geschickt wurden, ist der digitale Austausch von Behandlungsdaten sicher ein Vorteil. Alle Sender und Empfänger sind eindeutig im Rahmen der gesicherten Telematikinfrastruktur identifizierbar, die Absender- und Empfängerangaben sind verlässlich und fälschungssicher. Kartenbasierte Verschlüsselung macht ein unberechtigtes Mitlesen unmöglich. Alle KIM-Teilnehmer sind im zentralen Adressbuch auffindbar, sodass das Suchen von E-Mail-Adressen vereinfacht wird.

Angesichts von rund 15 Millionen ­Arztbriefen pro Jahr, die bislang per Post oder Fax verschickt werden, ist der digitale Behgandlungsaustausch von Daten sicher ein Vorteil.

Im Juni 2020 wurde von der gematik mit der CompuGroup Medical der erste Fachdienst für die Anwendung der KIM zugelassen. Mit der Zulassung des KIM-Fachdienstes darf das Unternehmen interessierte Leistungserbringer mit KIM ausstatten. Das KIM-Verfahren ist auch für die Übermittlung von elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (eAU) von der Arztpraxis zur Krankenkasse notwendig, was ursprünglich schon verbindlich zum 1.1.2021 eingeführt werden sollte, jetzt aber erst ab dem 1.10.2021 verpflichtend ist.

Die elektronische Diabetesakte (eDA)

Als Ergänzung zur ePA plant die Deutsche Dia­betes Gesellschaft (DDG) die Entwicklung einer interoperablen, spezifischen elektronischen Diabetesakte (eDA). Diese soll vollumfänglich mit der ePA kompatibel sein und dafür sorgen, dass für Versicherte mit Diabetes auch zusätzliche dia­be­tes­spezifische Inhalte in die ePA integriert werden. Entsprechend den Vorgaben für die ePA soll der Diabetespatient selbst entscheiden, welche Daten und Dokumente von ihm freigegeben werden und wie die eDA durch die unterschiedlichen Leistungsanbieter befüllt wird.

Das Ziel der eDA ist:

  • Integration der Daten der Disease-Management-Programme (DMPs) in die eDA, um die Verläufe der Diabetesbehandlung für Diabetespatienten wie auch das Diabetesteam oder andere Leistungserbringer zu dokumentieren, eine Bewertung der Ergebnisse entsprechend den Leitlinien vorzunehmen und den Patienten an mögliche Probleme der Diabetesbehandlung (wie nicht wahrgenommene Vorsorgeuntersuchungen z. B. beim Augenarzt) zu erinnern.
  • Integration der evidenzbasierten Leitlinien in die Entscheidungen von Patienten und anderen Leistungserbringern (z. B. Ärzten) bezüglich der Therapie.
  • Nutzung der Daten für das Qualitätsmanagement und die Zertifizierung von Diabeteseinrichtungen entsprechend dem Standard der DDG.
  • Langfristige Integration der Daten der eDA in ein (nationales) Diabetesregister.
  • Perspektive: Integration der Daten in ein DMP Diabetes Plus.
  • Perspektive: Integration digitaler Tools, die die informative Selbstbestimmung der Patienten fördern (z. B. durch künstliche Intelligenz [KI] unterstützte Risikorechner für die Entwicklung von Folgekomplikationen).

Erste Vorarbeiten zur eDA sind schon abgeschlossen, verschiedene Projektpartner definiert (z. B. InterSystems, Data4Life). Eine erste Version soll schon 2021 vorgestellt werden.

Abbildung 1: Struktur der elektronischen Diabetesakte (eDA).

Diabetesspezifische MIOS

Zusätzlich hat sich die DDG 2020 mit einer speziellen AG „Semantik“ bei der Definition von MIOS – dies steht für „Medizinische Informationsobjekte“ – engagiert. MIOS sollen dazu dienen, medizinische Daten (etwa in der ePA) standardisiert, entsprechend einem festgelegten Format, zu dokumentieren und zu transferieren. Sie können als kleinste digitale Informationsbausteine verstanden werden, die universell verwendbar und kombinierbar sind. Das Ziel der MIOS ist es, im Sinne der Interoperabilität für jedes System lesbare und bearbeitbare Informationen zu medizinischen Inhalten zur Verfügung zu stellen, damit diese deutlich leichter und eindeutig zwischen den einzelnen Akteuren im Gesundheitswesen ausgetauscht werden können.

Die Definition der MIOS erfolgt gemäß § 291b Abs. 1 Satz 7 SGB V durch die Kassenärztliche Vereinigung (KV), um auch die semantische und syntaktische Interoperabilität der ePA-Daten und -Dokumente zu gewährleisten. Die DDG berät die KV hinsichtlich diabetesspezifischer Inhalte.

Digitale Diabetesakte – Perspektive GKV

Aus GKV-Sicht verspricht man sich durch die Einführung der elektronischen Patientenakte perspektivisch erheblichen Mehrwert. Die zentrale Ablage aller relevanten Patientendaten kann erheblich dazu beitragen, Über-, Unter- und Fehlversorgung zu reduzieren. Damit profitierten unmittelbar die Patienten, aber auch das Gesundheitswesen, indem Gelder eingespart werden können, die an anderer Stelle dringend benötigt werden. Weitere Reserven zur Versorgungsverbesserung können erst durch Versorgungsforschung identifiziert werden. Diese wird umso bessere Ergebnisse erzielen, je mehr vergleichbare und aussagekräftige Daten vorhanden sind. Durch das standardisierte Erfassen von Daten in der elektronischen Diabetesakte können sich die zukünftigen Bedingungen für Versorgungsforschung deutlich verbessern, wenn diese in anonymisierter Form der Forschung zur Verfügung gestellt werden.

Außerdem stellt die GKV bei den Versicherten immer ausgeprägter den Wunsch nach mehr Mündigkeit fest. Daher ist es sinnvoll und im Gesamtergebnis vorteilhaft, wenn sich Patienten deutlich aktiver und bewusster in ihren Behandlungsprozess einbringen. Dies setzt voraus, dass ihnen möglichst viele Informationen über ihre Krankheitsdaten zugänglich sind. Besonderes Optimierungspotenzial besteht bei Patienten mit komplexen chronischen Krankheiten mit vielfältigen, teils schwerwiegenden Verläufen, die zusätzlich durch ihre hohe Prävalenz von besonderer Bedeutung sind.

An den Ausbau der ePA und weiterer Fachanwendungen wie der elektronischen Diabetesakte (eDA) knüpft die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) daher auch hohe Erwartungen. Da oftmals unterschiedliche Ärzte und andere Leistungserbringer an der Behandlung des Dia­be­tes mitwirken, können Informationsverluste zwischen den Behandlern den Behandlungserfolg erheblich reduzieren. Die seitens der Patienten über die ePA und eDA zur Verfügung gestellten Daten können sowohl die Prävention des Diabetes als auch die Therapie von Menschen mit Diabetes nachhaltig verbessern.

Prävention des Diabetes: Informationen zum Entstehen des Typ-2-Diabetes und Möglichkeiten der Prävention, Risikofragebögen etc. können in die ePA integriert werden, um Versicherte über Typ-2-Diabetes aufzuklären, ihr individuelles Risiko zu bestimmen und auf entsprechende Präventionsangebote hinzuweisen. Dies kann perspektivisch (mit Einverständnis des Versicherten) mithilfe einer komplexen Analyse vorhandener Daten in der ePA unterstützt werden. Dies gilt vor allem für die Risikogruppe der Menschen mit einem Prädiabetes, bei denen oft der Ausbruch des Typ-2-Diabetes verhindert bzw. hinausgezögert werden kann – mit guten Interventionsprogrammen mit dem Ziel einer Gewichtsreduktion, durch Verändern der Ernährung und Steigern der körperlichen Bewegung. Die Aussicht auf langfristigen Erfolg bei machbarem Beteiligungsaufwand senkt die Hürde für gefährdete Versicherte, sich auf das Programm einzulassen, erheblich.

Menschen mit Diabetes: Durch die vielfachen Möglichkeiten der ePA und eDA können Menschen mit Diabetes durch einen verbesserten Informationsaustausch besser interdisziplinär und multiprofessionell behandelt werden. Die Therapie des Diabetes optimieren können aber auch die strukturierte Dokumentation der Behandlungsverläufe, die Erinnerung an notwendige Termine zur primären, sekundären und tertiären Prävention von Folgeerkrankungen des Diabetes sowie auch die Integration anderer sinnvoller Tools (z. B. elektronischer Medikationsplan).

Insgesamt kann die ePA durch diabetesspezifische Elemente (eDA) sinnvoll ergänzt werden. Die Möglichkeiten der ePA, ergänzt durch eine mögliche eDA, kann die Versorgung von Menschen mit Diabetes verbessern. Der Erfolg der ePA und eDA wird sehr davon abhängen, ob die Nutzer für sich konkrete Vorteile für ihre jeweilige Lebenssituation erfahren. Daher sollten sich die Inhalte vor allem auch nach den Wünschen, Bedürfnissen und Zielen von Versicherten und besonders auch Menschen mit Diabetes richten.


Literatur:

  1. Barmer: BARMER-Umfrage: Jeder dritte Arzt fühlt sich schlecht auf ePA vorbereitet. https://www.barmer.de/presse/bundeslaender-aktuell/­bayern/aktuelles/barmer-umfrage–jeder-dritte-arzt-fuehlt-sich-schlecht-auf-epa-vorbereitet-250100 (Zugriff: 13.12.2020)
  2. Bertram N, Püschner F, Gonçalves ASO, Binder S, Amelung VE: Einführung einer elektronischen Patientenakte in Deutschland vor dem Hintergrund der internationalen Erfahrungen. In: Klauber J, Geraedts M, Friedrich J, Wasem J (Hrsg.): Krankenhaus-Report 2019. Springer, Berlin, Heidelberg, 2019: 6 – 16
  3. Brüggmann M: Digitalisierung: Das kann Deutschland in Sachen E-Health von Finnland lernen. 25.10.2020. https://www.handelsblatt.com/politik/­international/digitalisierung-das-kann-­deutschland-in-sachen-e-health-von-finnland-lernen/26305912.html?ticket=ST-9697072-­weuEVznTWruOzrgYQl7w-ap4 (Zugríff: 13.12.2020)
  4. Bundesverband der Arzneimittelhersteller: Fast drei Viertel befürworten elektronische Patientenakte. 03.07.2020. https://www.bah-bonn.de/de/presse/bah-gesundheitsmonitor/presse-detailseite/fast-drei-viertel-befuerworten-elektronische-patientenakte/ (Zugriff: 13.12 2020)
  5. Deutsche Krankenhaus-Gesellschaft: Umsetzungshinweise der DKG für die elektronische Patientenakte nach § 341 SGB V. 13.10.2020. https://www.dkgev.de/fileadmin/default/­Mediapool/2_Themen/2.1_­Digitalisierung_Daten/2.1.5._­Telematik-Infrastruktur/­Umsetzungshinweise_zur_elektronischen_Patientenakte__ePA__im_­Krankenhaus….pdf (Zugriff: 13.12.2020)
  6. eHealth Suisse: Was ist das EPD? 2020. ­https://www.patientendossier.ch/de/­gesundheitsfachpersonen/kurz-erklaert (Zugriff: 13.12.2020)
  7. ELGA: Zahlen-Daten-Fakten. 2020. ­https://www.elga.gv.at/elga-die-elektronische-­gesundheitsakte/zahlen-daten-fakten (Zugríff: 13.12.2020)
  8. Endris J: Gut 70 Prozent der Deutschen für E-Patientenakte. 03.07.2020. https://www.­pharmazeutische-zeitung.de/gut-70-­prozent-der-deutschen-fuer-e-patientenakte-118687/ (Zugriff: 13.12.2020)
  9. Olk J, Waschinski G: 200 Praxen testen elektronische Patientenakte. 09.12.2020. https://www.handelsblatt.com/inside/digital_health/­westfalen-lippe-und-berlin-200-praxen-testen-elektronische-patientenakte/26703404.html (Zugriff: 13.12.2020)
  10. pronovaBKK: Digitales Gesundheitssystem 2019. April 2019. www.pronovabkk.de/media/­downloads/presse_studien/studie_digitales_­gesundheitssystem_2019/Studie_Dig_­Gesundheitssystem_Ergebnisse.pdf (Zugriff: 13.12.2020)

Autoren:

Prof. Dr. Bernhard Kulzer
Forschungsinstitut Diabetes-Akademie Bad Mergentheim (FIDAM), Diabetes Zentrum Mergentheim, Theodor-Klotzbücher-Straße 12, 97980 Bad Mergentheim

Nico Richter
DAK-Gesundheit, Geschäftsbereich Leistung, Bereich Versorgungsforschung und Innovation, Nagelsweg 27 – 31, 20097 Hamburg

Sabine Hochstadt
Fürbringerstraße 28, 10961 Berlin