Dr. Andreas Lueg, Dr. Nikolaus Scheper

Digitalisierung in der Arztpraxis

Die tägliche Herausforderung ist das ­Praxisverwaltungssystem: Mit welchen technischen Problemen haben Ärzte in ­diabetologischen Praxen täglich zu kämpfen? Aus der Beantwortung der Frage lassen sich Forderungen ableiten, um die Versorgung von Menschen mit Dia­betes ­mellitus besser zu machen.

Im D.U.T.-Report 2019 hatten wir uns mit der vorhandenen Hard- und Software in diabetologischen Schwerpunktpraxen beschäftigt. Diesmal nun beschreiben wir, mit welchen technischen Problemen Ärzte in diabetologischen Praxen täglich zu kämpfen haben. Es soll auch darum gehen, welche Forderungen sich aus den Problemen ableiten lassen, um die Versorgung von Menschen mit Diabetes mellitus effektiver und besser zu machen.

Wir sollten bei der Digitalisierung dafür sorgen, dass die Praxisverwaltungssysteme und die Hard- und Software auch externer Anbieter endlich vernünftig miteinander kommunizieren können!

Wir sollten bei der Digitalisierung in der Arztpraxis nicht dauernd neue Bereiche ­angehen, sondern dafür sorgen, dass die Praxisverwaltungssysteme und die Hard- und Software auch externer Anbieter endlich vernünftig miteinander kommunizieren können! Auslese-Software für Messgeräte, Glukosemonitoring-Systeme und Insulinpumpen sind heute eine wichtige Hilfe bei der Behandlung von Menschen mit Diabetes.

Schnelles Auslesen solcher Geräte erleichtert die Arbeit sehr und hilft, gemeinsam mit den Patienten schnell einen Überblick über die Glukosedaten zu bekommen und unmittelbar therapeutische Entscheidungen zu treffen. Das Augenmerk für die weitere Entwicklung liegt zurzeit hauptsächlich im Bereich neuer Anwendungen, Apps, telemedizinischer Arbeitsplätze usw. Es gibt aber neben der eigentlichen Praxisverwaltung zahlreiche Felder der Digitalisierung in diabetologischen Schwerpunktpraxen (aber auch in Arztpraxen allgemein), die u. a. aufgrund nicht geklärter Rahmenbedingungen zunehmend Ressourcen binden, zusätzlich Arbeit generieren und in erheblichem Ausmaß Geld kosten. Es geht viel Zeit verloren für Tätigkeiten wie das Abtippen von Messergebnissen von Point-of-Care-Geräten, die nicht elek­tro­nisch zur Verfügung stehen, den Neustart bei Computerabstürzen und die Problembehebung bei veralteter Praxistechnik!

Es geht viel Zeit verloren für Tätigkeiten wie den Neustart abgestürzter Hardware und die Problembehebung bei veralteter Praxistechnik!

Schon die Anbindung von Laborgeräten an die Praxisverwaltungssoftware (PVS) zeigt, auf welchem basalen Niveau der Informationsaustausch zwischen den Geräten und der Software immer noch abläuft. Es werden über Schnittstellen zum Behandlungsdaten-Transfer (BDT) oder Gerätedaten-Transfer (GDT, einer standardisierten Schnittstelle zwischen Praxis-EDV-Systemen und medizintechnischen Geräten) einfache Textdateien generiert, die dann vom jeweils anderen Gerät eingelesen werden können. Die Kommunikation der Geräte ist dabei stark eingeschränkt, d. h. die meisten dieser Geräte haben noch Stecker, die bei modernen Computersystemen überhaupt nicht mehr vorgesehen sind. Es muss dann mit Adaptern und anderen Tricks die Verbindung hergestellt werden im Sinne einer Rolle rückwärts. Oft sind zusätzlich Übergabeprogramme notwendig.

Veraltete Praxisverwaltungssoftwareprogramme

Viele Schwerpunktpraxen nutzen Schulungsplanungs- und Verwaltungsprogramme oder auch andere Hilfsprogramme zur servicefreundlichen Führung der Praxis. An diese Programme können die Patientendaten wieder nur über die o. g. BDT- und GDT-Schnittstellen übergeben werden. Eine unmittelbare Anbindung an die Datenbank des PVS wäre wesentlich sinnvoller, da sich z. B. ändernde Kontaktdaten dann automatisch auch im Schulungsplaner ändern würden. Aber viele Praxisverwaltungs­softwareprogramme sind in ihrer Funktionalität veraltet und überholt!

Viele Praxisverwaltungs­softwareprogramme sind in ihrer Funktionalität veraltet und überholt!

Durch die eingeschränkten Kommunikationsfähigkeiten der o. g. Schnittstellen kann dies aber nur beim Aufruf des jeweiligen Patienten geschehen. Somit fällt zusätzlicher, vermeidbarer Arbeitsaufwand an. Diese Zeit fehlt für die Versorgung der Patienten.

Bei knapper werdenden Ressourcen im ärztlich-­medizinischen Bereich können wir uns diese ­Arbeitszeitvernichtung nicht mehr leisten!

Gerade bei diesen „Backbones“ der täglichen Arbeit von Ärzten wäre es wichtig, Energie und finanzielle Mittel einzusetzen, um zusätzliche Effektivität in die ärztliche Praxis zu bringen. Bei knapper werdenden Ressourcen im ärztlich-medizinischen Bereich können wir uns diese Arbeitszeitvernichtung nicht mehr leisten!

Telematik

Auch die neueren Entwicklungen in der Digitalisierung der Praxen bieten nicht die notwendige Zuverlässigkeit und Stabilität, die für ein patientenzentriertes Arbeiten notwendig wäre. Ein Beispiel hierfür ist die Telematik-Infrastruktur, die neu eingeführt wurde, letztlich aber alte Technik verwendet und die lediglich die Bedürfnisse der Kostenträger, nicht aber die der Praxen bedient. Die Beschwerden aus den Praxen häufen sich, die Beschwerde­inhalte ähneln sich sehr: Fehlerhafter Verbindungsaufbau, Abbruch von Verbindungen usw., die nicht selten auch den Neustart der Router erfordern, werden berichtet. Dabei ist die Idee eines gut geschützten Kommunikationswegs ausgesprochen begrüßenswert. Die konkrete Umsetzung erfolgt aber trotz langer, offenbar vergeblicher Vorlaufzeit leider überhastet, und die Lösungen sind schon jetzt in vielen Punkten nicht mehr auf der Höhe der Zeit.

Durch die Vielzahl notwendiger Zwischenlösungen und Hilfsprogramme, die für den einigermaßen effektiven Betrieb einer Praxis benötigt werden, verkompliziert sich die technische Struktur der Praxen, was eine erhöhte Fehleranfälligkeit mit sich bringt. Für viele Ärzte sind diese technischen Bereiche ihrer eigenen Praxis nicht mehr überschaubar, weshalb viele Praxen schon eigene IT-Experten beschäftigen.

Es zeichnet sich darüber hinaus ein Trend ab, immer mehr Geld im Gesundheitswesen weg von der aktiven Patientenversorgung in Richtung apparativer Technik, Support und weiterer Dienstleistungen zu verlagern, die sich erst aus der fortschreitenden Digitalisierung ergeben. Augenscheinlich verdienen im Gesundheitswesen zunehmend die wenigen Anbieter von Heilberufe-Ausweisen, Praxis-Ausweisen, Telematik-Hardware u. v. m., die aufgrund gesetzlicher Vorgaben einen sicheren Gewinn einfahren. Die sehr begrenzte Zahl von Anbietern erzeugt einen Markt mit monopolistischen Strukturen.

Digitalisierung in der Arztpraxis weist ein enormes Potenzial auf, die Arbeit in der Praxis, die medizinische Versorgung der Patienten und die Arbeitszufriedenheit der Mitarbeiter wesentlich zu verbessern.

Die Ärzte müssen aktuell diesen Entwicklungen hilflos zuschauen, da die Entscheidungen über ihre tägliche Arbeit und Arbeitsweise längst anderenorts getroffen werden. Sie werden sogar dazu verpflichtet, die für diese neuen Technologien anfallenden Kosten zu tragen, ohne dass sie oder ihre Patienten einen direkten Nutzen davon haben.

Roadmap der Digitalisierung notwendig

Dieser Bericht soll kein Negativbild der Digitalisierung malen, sondern vielmehr aufzeigen, dass in den basalen Bereichen der Versorgung von Patienten mit Diabetes eine Weiterentwicklung dringend notwendig ist, um Abläufe einfacher und effektiver zu gestalten. Die technische Entwicklung bietet hierzu viele Möglichkeiten. Wichtig ist, dass dieser zentrale Bereich mehr in den Fokus des Interesses gerückt werden muss.

Dazu wäre neben einer Aussage über eine adäquate Gegenfinanzierung in den Praxen eine vom Gesetzgeber vorzugebende Roadmap notwendig, die z. B. die Einführung moderner Kommunikationsschnittstellen mit offenen Datenbankstrukturen vorsieht, damit die Möglichkeiten moderner Hard- und Software im medizinischen Bereich zeitgemäß und effektiv genutzt werden können.

Vorgaben für PVS!

Schon heute gibt es Vorgaben für PVS, die von den Herstellern einzuhalten sind. Die Zertifizierung der PVS sollte in Zukunft im Sinne des „Code of Conduct Digital Health“ der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) an die Durchlässigkeit der Systeme und deren Kommunikationsfähigkeiten geknüpft werden. Offene Schnittstellen, Übergabeprotokolle und Datenbankmodelle würden die sinnvolle Interaktion der verschiedenen Programme und Geräte revolutionieren. Zugleich würden diese eine ausgesprochen sinnvolle Weiterentwicklung darstellen, die finanzielle, personelle und zeitliche Ressourcen freischaufeln kann. Damit würden mehr Patienten gut versorgt werden können.

Die technische Überforderung des Praxispersonals zu verringern, wäre ebenfalls eine gute Burn-out-Prophylaxe. Auch die Ressource Arzt und dessen Mitarbeiter gilt es zu schonen!

Notwendige Entwicklungen für die ­Digitalisierung der Arztpraxis

Für die weitere Entwicklung der Digitalisierung in der diabetologischen Arztpraxis ist die Umsetzung der folgenden Forderungen wichtig:

  • auswertbare Datenbanken,
  • offene Datenbankmodelle in den Praxis-­Verwaltungssystemen,
  • offene Schnittstellen mit direkter Interaktion auf Datenbankniveau,
  • moderne Gerätestandards, die eine effektive Anbindung und Kommunikation mit dem PVS ermöglichen,
  • Standardisierung der Datenbankmodelle und Schnittstellen durch Vorgaben im Rahmen der Zertifizierung der PVS und medizinischen Geräte.

Vor der weiteren Digitalisierung der Arztpraxen müssten zudem die folgenden zentralen Fragen geklärt werden:

  • Welche Daten sind zwingend zu erfassen?
  • Welche verbindliche Dokumentationsstruktur soll die Patientenakte in den Praxen haben?
  • Welche Daten muss ein Arztbrief in welcher Form beinhalten?
  • Wie soll ein bundeseinheitlicher Insulinplan aussehen?
  • Wo sollen die Daten der Patienten und der Praxis gespeichert werden?
  • Wie sieht eine adäquate Finanzierung für die Praxen aus?
  • U. v. a. m.

Es gilt, diese Fragen zu klären und in den Vorgaben für die PVS abzubilden. Solange die PVS nicht auf einen zeitgemäßen Entwicklungsstand gebracht werden, können moderne Entwicklungen ihre Effekte nur unzureichend entfalten!

Die unzureichende Datenerfassung in den PVS führt dazu, dass die Unmenge an ambulanten Real-Life-Daten, die in den Praxen gesammelt werden, der wissenschaftlichen Auswertung verloren geht – ein nicht länger hinzunehmender Umstand.

Solange die PVS nicht auf einen zeitgemäßen Entwicklungsstand gebracht werden, können moderne Entwicklungen ihre Effekte nur unzureichend entfalten!

Dieses Fehlen von Daten aus dem ambulanten Setting hat vermutlich auch eine Auswirkung auf die mangelnde Ausbildung der Medizinstudenten im Bereich Diabetologie – vielleicht auch ein Grund, warum sich so wenige Nachwuchsmediziner für den ambulanten diabetologischen Bereich, insbesondere die Hausarztmedizin im ländlichen Bereich, interessieren. Nur wenn die ambulante Medizin sich wissenschaftlich abbildet, wird sie auch im Studium und in der Ausbildung wahrgenommen!

Zusammenfassung

Zurzeit zwingt sich der Eindruck auf, dass es vor allem darum geht, „irgendetwas“ in Richtung Digitalisierung zu unternehmen. Dabei besteht die Gefahr, dass Unsummen in die falschen Projekte investiert werden, die Praxen und die darin arbeitenden Menschen überfordert werden und die Entwicklung hinter ihren Möglichkeiten zurückbleibt.

Nur, wenn die ­ambulante Medizin sich wissenschaftlich abbildet, wird sie auch im Studium und in der Ausbildung wahrgenommen!

Im Vordergrund der Arbeit in Arztpraxen steht letztendlich die Versorgung der Patienten. Jeder Schritt bei der Digitalisierung im Gesundheitswesen im Allgemeinen und in den Arztpraxen im Besonderen muss die Verbesserung und Vereinfachung der täglichen Arbeit zum Ziel haben. Diese Entwicklung muss zielgerichtet und energisch erfolgen. Dies setzt aber voraus, dass über deren Ziele und Wege ein breiter Konsens zwischen Politik, Ärzten und Patienten besteht. Die Kommunikation zwischen den Praxen muss so optimiert werden, dass Informationen überschaubar und schnell verfügbar hinterlegt sind. Es ist nicht sinnvoll, einen Berg von PDF-Dateien im PVS anzuhäufen, deren Inhalt niemand mehr überblicken kann und für deren Sichtung letztlich keine personellen Ressourcen zur Verfügung stehen.

Digitalisierung in der Arztpraxis weist ein enormes Potenzial auf, die Arbeit in der Praxis, die medizinische Versorgung der Patienten und die Arbeitszufriedenheit der Mitarbeiter wesentlich zu verbessern. Die Voraussetzung dafür ist aber, dass die Basis entsprechend weiterentwickelt wird. Konkret bedeutet dies: Die PVS und die anzubindende externe Hard- und Software müssen rasch und nachhaltig auf einen modernen Stand gebracht werden.


Autoren:

Dr. Andreas Lueg
Diabeteszentrum L1 Hameln, L1-Ärztehaus, Lohstraße 1, 31785 Hameln

Dr. Nikolaus Scheper
Diabetologische Schwerpunktpraxis, Praxis Dr. med. Scheper & Schneider & Veit, Bergstr. 167, 45770 Marl