PD Dr. Anke Bahrmann, Sabine Hochstadt, Michael Uhlig

Digitalisierung für ältere Menschen mit Diabetes

Generell ist die Akzeptanz neuer Technologien unter älteren Menschen hoch, jedoch müssen diese einfach handhabbar sein und für die Nutzer erlebbare Vorteile im Alltag bringen.

Die Digitalisierung hat in den letzten Jahren viele Bereiche unseres Lebens erfasst. Für die meisten Menschen ist es völlig selbstverständlich, sich in dieser neuen Welt zu bewegen. Smartphone, Tablet, Internet, Streamingdienste und mehr sind aus ihrem Leben nicht mehr wegzudenken. Digitale Innovationen bieten Chancen in allen Altersgruppen, das Leben zu erleichtern. Doch gerade ältere Menschen, die von Innovationen für ein selbstständiges und selbstbestimmtes Leben am meisten profitieren könnten, haben häufig noch Berührungsängste. Dies ist unverändert zu beobachten, auch wenn es die Altersgruppen der ab 65-Jährigen sind, in denen die stärksten Zuwachsraten bei der Internetnutzung zu verzeichnen sind. So nutzten im ersten Quartal 2019 rund 70 % der über 65-Jährigen das Internet jeden bzw. fast jeden Tag und 21 % mindestens einmal in der Woche [Statistisches Bundesamt 2019].

Ende 2018 waren knapp 18 Mio. Menschen in Deutschland 65 Jahre und älter. Bei gleichzeitig über 10 Mio. Menschen zwischen 55 und 64 Jahren wird sich in Zukunft die Anzahl der Personen, die auf Hilfe angewiesen sind, weiter stark erhöhen. Die Analysen zeigen zudem, dass sich der Anteil der unterstützungsbedürftigen Menschen, der im ländlichen Raum lebt und leben wird, überproportional entwickelt. Arztpraxen, Pflege- und Betreuungsdienste sind schon heute längst an ihre Kapazitätsgrenzen gekommen. Wenn nun – vor dem Hintergrund dieser demografischen Entwicklung – der Wunsch der meisten Menschen nach einem Verbleib in der eigenen Häuslichkeit bis ins höchste Alter eine Entsprechung finden soll, dann wird klar, wie wichtig es ist, die Möglichkeiten der Digitalisierung zu nutzen [Weiß 2017]. Technologisch sind durchaus sehr viele Optionen gegeben, den Menschen den Komfort eines „Smart­homes“ bieten zu können. Auf deren kluge Nutzung kommt es an.

Physiologische Veränderungen bedingt durch Alterungsprozesse können sich negativ auf ein selbstständiges Leben in der eigenen Häuslichkeit auswirken. So nimmt im Alter die Körperkraft ab, Sinnesorgane wie das Auge verlieren an Funktionsfähigkeit, die kognitive Leistungsfähigkeit nimmt ab. Dies alles birgt gesundheitliche Risiken wie Stürze und die unregelmäßige Einnahme von Medikamenten aufgrund der Einschränkung der Feinmotorik und der Sehkraft sowie der zunehmenden Vergesslichkeit. Auch wenn die heutigen 65- bis 85-jährigen Menschen gesünder sind als früher, sind sie mit zunehmendem Alter auf Unterstützung und Pflege angewiesen. So benötigt etwa jede/-r Dritte ab 80 Jahren und fast jede/-r Zweite ab 85 Jahren Pflegeleistungen.

Ältere Menschen mit Diabetes und die ­Digitalisierung

In Deutschland leben rund 7 Mio. Menschen mit Diabetes, von denen ca. 95 % an Typ-2-Diabetes erkrankt sind. Aufgrund der guten medizinischen Versorgung erreichen viele Menschen mit Typ-1-Diabetes ein hohes Alter – es wird inzwischen von mehr als 100 000 Menschen mit Typ-1-Diabetes über 70 Jahren ausgegangen.

Bei Typ-2-Diabetes ist der höchste Anteil der Menschen mit Diabetes in der Altersgruppe der über 75-Jährigen (25 %). Auf Basis der Sekundärdatenanalyse der 3,5 Mio. gesetzlich Versicherten der AOK Baden-Württemberg liegt in der Altersgruppe ab 80 Jahren bei etwa 1 Mio. Menschen in Deutschland ein Typ-2-Diabetes vor [Tamayo 2016].

Zunehmende Digitalisierung und die ­massiv verbesserten technologischen Möglichkeiten führen zu vielen ­Optionen, die Diabetestherapie auch im hohen Lebens­alter zu erleichtern.

Ältere Menschen mit Diabetes haben häufig zusätzlich funktionelle und/oder kognitive Beeinträchtigungen, die das selbstständige Durchführen der Diabetestherapie behindern können und die bei der Therapieplanung berücksichtigt werden müssen. Dazu gehören v. a. geria­trische Symptome wie Merkfähigkeitsstörungen, Gebrechlichkeit, Stürze, Immobilität oder auch eine erhöhte Vulnerabilität für Arzneimittelwechselwirkungen. Diabetesbezogene Folgeerkrankungen wie die periphere Polyneuropathie können die Sturzgefährdung gebrechlicher Menschen weiter erhöhen. Merkfähigkeitsstörungen führen zu Injektionsfehlern bei Insulintherapie oder Einnahmefehlern von Medikamenten (doppelte Einnahme, Auslassen von Medikamenten usw.). Sind schwerere kognitive Beeinträchtigungen oder auch eine Demenzerkrankung vorhanden, ist die eigenständige Therapie des Diabetes häufig nicht mehr möglich und Hilfe durch An- oder Zugehörige bzw. Pflegekräfte notwendig. Dennoch besteht der Wunsch nach höchstmöglicher Selbstbestimmung, Selbstmanagement und dem Verbleib in der eigenen Häuslichkeit weiter. Daher kann grundsätzlich eine Offenheit für digitale Lösungen vorausgesetzt werden – generell bei älteren Menschen, und erst recht, wenn die zusätzlichen Aspekte des Diabetesmanagements dazukommen – soweit diese Lösungen einen Mehrwert und Nutzen für die angestrebten Ziele bieten. Die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen aber auch, dass es kein Selbstläufer ist, diese Akzeptanz zu erreichen. Mit technokratischen Begriffen wie „AAL“ (Ambient Assisted Living) ist niemandem die Sorge zu nehmen, dass „die Technik“ nur ein Ersatz ist für künftig womöglich nicht mehr mögliche persönliche Zuwendung. Im Mittelpunkt der Kommunikation müssen die Komfortaspekte und die kluge Integration der digitalisierten Lösungen in das gesamte Helfersystem stehen.

Wie ist die aktuelle Entwicklung?

Die zunehmende Digitalisierung und die massiv verbesserten technologischen Möglichkeiten führen zu vielfältigen Optionen, die Diabetestherapie auch im hohen Lebensalter zu erleichtern. Dazu gehören z. B. Telemonitoring, kontinuierliche Glukosemessung (CGM-Systeme), Gesundheitsclouds, Diabetes-Apps, E-Learning-Programme sowie sensorgestützte smarte Assistenzsysteme der Wohnumfeldgestaltung. Letztere stehen für intelligente Umgebungen, die sich selbstständig, proaktiv und situationsspezifisch den Bedürfnissen und Zielen der Benutzer anpassen, um sie im täglichen Leben zu unterstützen: Dazu gehören Notruf­systeme, die (gleichzeitig energieeffiziente) sensorbasierte Ansteuerung der Beleuchtung (bis hin zur Simulation eines natürlichen Tag-Nacht-Rhythmus) und diverser Haushaltsgeräte, Überwachungsfunktionen u. a. zur Sturzprävention sowie die Möglichkeit, diagnostische Daten/Vitalparameter zu erheben und an medizinische Institutionen automatisiert zu übermitteln.

Dabei ist es recht unerheblich, wo die Menschen leben oder sich gerade aufhalten – durch die Funkbasierung können die Lösungen in den Wohnungen der Menschen, in der Pflegeeinrichtung (als besondere Form des Wohnorts) oder auch in der Klinik etabliert werden. Weit verbreitet und bei einer Vielzahl von Anbietern erhältlich ist das klassische Hausnotrufsystem. Über einen Knopfdruck wird via Homestation eine Notrufverbindung mit dem entsprechenden Anbieter hergestellt. Als Hilfsmittel anerkannt und – im Gegensatz zu fast allen anderen Lösungen – in den Basisfunktionen als Leistung der Pflegeversicherung refinanziert, ist der klassische Hausnotruf im Jahr 2019 zwar als mäßig elegant wahrgenommen, aber unverändert die mit Abstand verbreitetste Unterstützungslösung in der Häuslichkeit der Menschen.

Insgesamt zeigt sich ein buntes Bild des bereits real Genutzten wie auch der Potenziale. Für die gezielte Gestaltung künftiger Angebote sind Transparenz und Systematisierung wichtig.

Hilfsmittel

Die Deutsche Diabetes Gesellschaft hat die S2k-Leitlinie „Diagnostik, Therapie und Verlaufskontrolle des Diabetes mellitus im Alter“ herausgegeben, in der auch die Landschaft digitaler Hilfsmittel beschrieben wird [Deutsche Dia­be­tes Gesellschaft 2018]. Dort wird zwischen „mechanischen“, „technischen“ und „elektronischen“ Hilfsmitteln unterschieden und eine Einschätzung des Grades der Eignung gegeben:

Mechanische Hilfsmittel:

  • Lupen und andere Sehhilfen, sprechendes Blutglukose-Messgerät (sehr geeignet)
  • Blutglukose-Messgeräte ohne Kalibrierung mit großem Display und einfacher Bedienung (sehr geeignet)
  • Insulin-Pens mit einfacher Auslösung und geringem Daumendruck (sehr geeignet)
  • Schritt-für-Schritt-Anleitungen in Alltagsgegenstände integriert (sehr geeignet)
  • Medikamentendosetten mit Wochenvorrat (sehr geeignet)

Technische Hilfsmittel für ältere Menschen mit Diabetes im erweiterten Sinne:

  • Automatische Blutdruckmessgeräte, präferenziell mit Oberarmmanschette und elek­trischer Pumpe
  • Gehhilfen bei Polyneuropathie und/oder Gebrechlichkeit (z. B. Gehbock, Rollator)
  • Frakturprävention (z. B. Safehip-Schutz­hosen/Hüftprotektoren, Antirutschsocken)

Elektronische Hilfsmittel:

  • PC-Programme zur Analyse erhobener Messwerte und Daten (teilweise geeignet)
  • Apps zur Verbesserung der Therapietreue (teilweise geeignet)
  • Apps zum Datenmanagement und Blutglukose-Steuerung (teilweise geeignet)
  • Technische Hilfen zur Erinnerung an Medikamenteneinnahme oder Insulin-Injektion (teilweise geeignet)
  • Automatische Beleuchtungen mit Bewegungssensoren zur Sturzvermeidung (sehr geeignet)
  • Sensormatten oder RFID-/GPS-Systeme zur Sicherheitsverbesserung beispielsweise bei Demenzerkrankung (bedingt geeignet)

Telemedizinische Angebote

Telemonitoring erlaubt die Kontrolle von Blutglukosewerten und Vitalfunktionen eines Patienten durch einen Arzt oder das Pflegepersonal über eine räumliche Distanz hinweg. In der Telediabetologie können z. B. Blutglukosewerte, Blutdruck oder Gewicht des Patienten über eine Basisstation erfasst und an ein telemedizinisches Servicezentrum weitergeleitet werden. Dort werden die übermittelten Daten von einem Diabetesteam (bzw. entsprechend einem zu definierenden Algorithmus) bewertet, sodass eine entsprechende Handlungsempfehlung für den behandelnden Arzt, den Patienten selbst oder auch das Pflegeteam abgeleitet werden kann. Seit die Datenübertragung funkbasiert sichergestellt werden kann, bestehen prinzipiell keine wirklichen technologischen Schwierigkeiten mehr, fast jede Pflegeeinrichtung anbinden zu können. Die Intensität der Begleitung des Patienten kann dabei jeweils abgestimmt werden. Mit Patienten-Coachingprogrammen lässt sich ein sicheres und trotzdem lebensqualitätsorientiertes Management des Diabetes gestalten – auf Basis elektronischer Akten, vereinbarter Kommunikationsregeln und kontinuierlicher Vitalparameter-Überwachung. Beispiele sind „TeLiPro“ des Deutschen Instituts für Telemedizin und Gesundheitsförderung (DITG), das sich ursprünglich an Patienten mit hoher Selbstmanagementkompetenz, mittlerweile aber auch an ältere und pflegebedürftige Menschen richtet, und Telemonitoring-Lösungen wie des Westdeutschen Zentrums für Angewandte Telemedizin (WZAT).

Mit Patienten-Coachingprogrammen lässt sich ein sicheres und trotzdem lebensqualitätsorientiertes Management des Diabetes gestalten.

Wichtig ist dabei die Gestaltung der Schnittstellen: Beide dargestellten qualitätsgesicherten Modelle sehen bei entsprechender Konstellation zentral auch die Einbindung von behandelnden Ärzten oder betreuenden Pflegekräften vor, um die Wirksamkeit der Begleitung zu sichern. Für die vor Ort behandelnden Ärzte haben die Programme vor allem Servicefunktion – zum Beispiel durch das Bereitstellen von Informationen. Für die betreuenden Pflegekräfte bieten sie zusätzliche Unterstützung, nicht zuletzt durch die kontinuierliche Erreichbarkeit von Experten in den Telemedizin-Instituten. Leider stehen telediabetologische Systeme noch nicht flächendeckend zur Verfügung.

Weitere wichtige Felder in der Versorgung älterer Menschen mit Diabetes können das Tele­case­management und die Telekonsultation darstellen. In Deutschland besteht aktuell ein erheblicher personeller Ressourcenmangel – insbesondere in ländlichen Regionen. Die Nutzung telemedizinischer Möglichkeiten bietet eine effiziente Möglichkeit, die Behandlungsqualität durch das Hinzuziehen von Diabetologen (Telekonsultation) zu verbessern; dies wird in der Diabetologie zukünftig eine immer größere Rolle spielen. Im Rahmen der derzeitigen medizinrechtlichen Möglichkeiten wird der Umsetzungserfolg telemedizinischer Lösungen davon abhängen, wie die Aufgabenteilung mit dem lokal betreuenden Haus- und/oder Facharzt gelingt. Das Telemedizin-Institut wird dabei in der Regel die Rolle eines hocheffizienten Dienstleisters haben, welcher gleichermaßen diagnostische und therapeutische Empfehlungen für den vor Ort tätigen betreuenden Arzt bietet. Im Telecasemanagement können Menschen, gerade mit einem neu diagnostizierten Diabetes, eng begleitet und aufkommende Fragen z. B. per Videotelefonie besprochen werden.

Insulinpumpentherapie – auch im ­hohen Alter?

Eine besondere Konstellation betrifft die Insulinpumpentherapie bei Typ-1-Diabetes im Alter. Repräsentative Daten zur Nutzung der Insulinpumpentherapie im Alter liegen aktuell noch nicht vor. Anhaltspunkte ergeben sich aus dem deutschen Datenregister Diabetes-Patienten-Verlaufsdokumentation (DPV). Darin sind 302 Patienten mit einem Alter zwischen 70 und 80 Jahren und Insulinpumpentherapie regis­triert sowie 41 mit einem Alter über 80 Jahren. Der Trend lässt aber klar einen deutlichen Anstieg erwarten [Zeyfang 2019].

Die Pumpentherapie kann grundsätzlich bis ins hohe Lebensalter durchgeführt werden, denn auch bei älteren Menschen kann durch die Insulinpumpentherapie eine Verbesserung der Glukosekontrolle erreicht werden – bei gleichzeitiger Absenkung der Rate an Hypoglykämien unter niedrigem basalem Insulinbedarf. Für eine erfolgreiche Umsetzung der Insulinpumpentherapie sind jedoch eine gute Beherrschung der Bedienschritte seitens der Nutzer/innen, eine gute Feinmotorik, aber auch intakte visuelle, auditive und kognitive Fähigkeiten notwendig. Nicht zuletzt sind eine altersgerechte Gestaltung und das Design der Geräte eine wichtige Voraussetzung für die sichere und effektive Nutzung der Insulinpumpe im Alter.

Nötig: für Ältere bedienbare Pumpen

Im Sinne eines patientenzentrierten Ansatzes sollten daher Insulinpumpen auf dem Markt verfügbar sein, die von älteren Patienten bedienbar sind (z. B. große Displays, Sprachsteuerungsfunktionen). Für eine erfolgreiche Insulinpumpentherapie im Alter sind ebenso zen­tral die Wünsche, Sorgen und Erfahrungen älterer Menschen mit Typ-1-Diabetes, deren erlebte Barrieren und förderliche Bedingungen [Grammes 2018]. Der Wechsel von einer Insulinpumpentherapie auf eine intensivierte Insulintherapie (ICT) ist für die meisten Patienten mit Typ-1-Diabetes ein Rückschritt, der mit großen Ängsten bezüglich assoziierter Folgen einhergeht (z. B. Folgeerkrankungen, Verlust der Lebensqualität). Ebenfalls hilfreich ist es, Angehörige und kompetentes Fachpersonal bei der Unterstützung und Durchführung der Insulinpumpentherapie im Alter einzubeziehen.

Durch die Weiterbildung zur Diabetespflegefachkraft (Basisqualifikation, stationär oder Langzeitpflege) der DDG können Pflegekräfte ihr technologisches Wissen verbessern sowie die Strukturqualität der Einrichtung – letztendlich verbessern sie damit auch die Versorgung älterer Menschen mit Diabetes mit neuen Technologien.

Neue Technologien, Apps

Um eine möglichst lange und bestmögliche Versorgung älterer Menschen im häuslichen Umfeld zu ermöglichen, werden zunehmend technische Hilfsmittel für die Diabetestherapie auf den Markt gebracht. Dazu zählen Injektionshilfen, Blutglukosemessgeräte mit großem Display und bedienerfreundlicher Anwendbarkeit, aber auch die Technologie der kontinuierlichen Insulinapplikation mittels Insulinpumpen oder das kontinuierliche Glukosemonitoring (CGM). In den Medien wird bereits von einer „technischen Heilung“ des Diabetes gesprochen. Die Technologien erfordern jedoch eine präzise Handhabung sowie die Verfügbarkeit von PC und Internet zur Speicherung und Auswertung der Daten. Für ältere Menschen, die mit modernen Technologien und Medien weniger vertraut sind, sind diese Entwicklungen oft nicht direkt zugänglich. Daher ist eine einfache Handhabung der Blutglukosemessgeräte, Insulinpens und der neuen Technologien zu fordern, sodass auch ältere Menschen mit visuellen oder funktionellen Einschränkungen diese möglichst lange selbstständig benutzen und somit ihre Selbstständigkeit bewahren können.

Insulinpumpen, die von älteren Menschen bedienbar sind, sollten auf dem Markt verfügbar sein.

Auch der Mobile-Health-Bereich stellt einen der am schnellsten wachsenden Bereiche im Gesundheitswesen dar. Patienten benutzen mobile Endgeräte (Smartphones) und Gesundheits-Apps, um ihre Gesundheitsdaten zu analysieren, und wünschen sich dadurch eine vereinfachte, individuelle und verbesserte Versorgung ihrer Grunderkrankung. Zahlreiche Gesundheits-Apps sind auf dem Markt erhältlich, ein Weg zur Finanzierung der Apps findet sich nunmehr im Digitale-Versorgung-Gesetz wieder. Danach können Apps ab 2020 von niedergelassenen Ärzten auf Rezept verordnet werden. Inwieweit sich dieses Angebot angesichts der Vielzahl frei zum Download im Internet angebotener Apps etablieren wird, darf mit Spannung beobachtet werden. Die Gruppe „DiaDigital“ verschiedener Diabetesorganisationen und des Zentrums für Telematik und Telemedizin GmbH (ZTG) in Bochum beurteilt und zertifiziert Diabetes-Apps anhand eines Kriterienkatalogs. Ein Beispiel für eine der zertifizierten Apps, die für geriatrische Patienten eine Hilfe darstellen könnte, ist die leicht zu bedienende App „MyTherapy“ [smartpatient], die eine Erinnerungsfunktion für die Einnahme von Medikamenten bietet sowie die Planung von Aktivitäten und die Protokollierung von Symptomen und Messwerten.

Chancen der Digitalisierung – wohin geht die Reise?

Die Technikakzeptanz älterer Menschen wird maßgeblich durch zwei Faktoren bestimmt:

1. Wie ist die empfundene Nützlichkeit des digitalen Produkts? Maßgeblich hierfür ist die Frage, wie groß der persönliche Vorteil bei der Nutzung eingeschätzt wird sowie welche Form und welches Ausmaß der Unterstützung im Alltag damit verbunden sind.

2. Wie ist die wahrgenommene Handhabung des digitalen Produkts? Entscheidend ist, ob die Nutzung selbsterklärend, einfach, intuitiv ist und das digitale Produkt ohne viel Aufwand und Überwachung einwandfrei funktioniert.

Dabei steht in der Abwägung der Wertigkeit dieser beiden Faktoren die „wahrgenommene Handhabung“ vor der „empfundenen Nützlichkeit“. Dies bedeutet, dass trotz einer hohen empfundenen Nützlichkeit ein Produkt eher nicht angewendet wird, wenn die „Usability“ nicht gegeben ist. Elementar für die Entscheidung ist auch die Einfachheit der Anwendung („Komfort-Empfinden“).

Viele ­technologiebasierte Lösungen werden sich mittelfristig etablieren – eine einfache Handhabung vorausgesetzt.

Sehr einfache Handhabung vorausgesetzt ist davon auszugehen, dass sich viele der beschriebenen technologiebasierten Lösungen der Gestaltung des Wohnumfelds älterer Menschen und des Diabetesmanagements mittelfristig etablieren werden.

Ein weiterer Trend besteht in der Verknüpfung unterschiedlichster Technologien und Datenquellen [Cirkel 2019]. Beispiele hierfür sind moderne Entwicklungen zur Notfallaktivierung des Fraunhofer-Instituts Erlangen [Fraunhofer-Institut für Digitale Medientechnologie IDMT], die auf unterschiedlichen Ereignissen beruhen können: Akustische Schallwächter (SonicSentinel) können z. B. einen Einbruchsversuch anhand des Geräuschs eines Glasbruchs erkennen, mittels Methoden der Sprachanalyse kann ein möglicher Notfall anhand der Erregtheit in der Stimme erkannt oder durch Spracherkennungsverfahren verschiedener Schlüsselwörter (wie „Hilfe“) analysiert werden und damit verschiedene Algorithmen zum Auslösen eines Notrufs berechnet werden. Das System zeigt zudem die Art des Notrufs an und hilft somit, die Reaktionszeiten der eingebundenen Angehörigen oder des Pflegepersonals zu optimieren.

Ein anderes Beispiel sind drahtlos vernetzte Trinkgefäße, die mit multimodaler Sensorik ausgestattet sind, welche ältere Menschen bzw. die Pflegekräfte dabei unterstützen, auf die Trinkmenge zu achten und an das Trinken zu erinnern. Individuell wird die optimale Flüssigkeitsmenge für den Nutzer errechnet und die Trinkmenge automatisch dokumentiert. Intelligente Spiegel können mit den Menschen kommunizieren und sie an wichtige Dinge erinnern wie die Blutglukosemessung, Medikamenteneinnahme, Trinken oder Essen.

Aus Japan stammt die Idee, Robotertechnik für die Entlastung der Pflegekräfte zu nutzen. Bereits 2009 wurde der erste Pflegeroboter (Robot for Interactive Body Assistance, ­RIBA) der Öffentlichkeit vorgestellt. Diese Roboter übernehmen teilautomatisiert Pflegeprozesse, servieren Essen oder Getränke, gießen Blumen oder können sogar als Gehhilfe verwendet werden. Der Pflegeroboter „Robear“ kann Patienten beispielsweise vom Bett in einen Rollstuhl heben und damit das Pflegepersonal entlasten [Bendel 2018].

Fazit

Neue technische und digitale Entwicklungen haben das Potenzial, ältere Menschen bei der Therapie des Diabetes zu unterstützen und ihnen zu helfen, ihre Selbstständigkeit zu bewahren. Generell ist die Akzeptanz neuer Technologien unter älteren Menschen hoch, jedoch müssen diese einfach handhabbar sein und für die Nutzer erlebbare Vorteile im Alltag bringen. Technologieentwickler sind aufgefordert, passgenaue Lösungen für ältere und beginnend kognitiv eingeschränkte Menschen und deren Betreuungsnetzwerke zu gestalten. Neue Technologien werden sich jedoch nur stabil etablieren können, wenn sie „bei den Menschen ankommen“ und klug mit „analogen“ Dienstleistungsangeboten verknüpft werden.


Quellen:

  1. Bendel O (Hrsg.): Pflegeroboter. Springer Gabler, Wiesbaden, 2018
  2. Cirkel M, Enste P: Selbstzweck oder Nutzenstiftung? Digitalisierung im Alter. https://www.iat.eu/files/forschung_aktuell_07_2019.pdf (Zugriff: 13.11.2019)
  3. Deutsche Diabetes Gesellschaft: S2k-Leitlinie Dia­gnostik, Therapie und Verlaufskontrolle des Diabetes mellitus im Alter. 2. Auflage 2018. AWMF-Registernummer: 057-017
  4. Fraunhofer-Institut für Digitale Medientechnologie IDMT: SonicSentinel – Ein intelligenter Schallwächter für die Pflege. https://www.idmt.­fraunhofer.de/content/dam/idmt/documents/HSA/SonicSentinel_Fraunhofer_IDMT.pdf (Zugriff: 13.11.2019)
  5. Grammes J, Küstner E, Demattio S, Priesterroth L, Heinemann L, Kubiak T: Wünsche, Sorgen und Bedürfnisse bezüglich der Insulinpumpentherapie im Alter: Ergebnisse einer Befragung bei Menschen mit Typ-1-Diabetes mellitus im höheren Lebensalter und von Diabetesfachkräften. Diabetologie 2018; 13: 492 – 499
  6. smartpatient: MyTherapy. https://www.­mytherapyapp.com (Zugriff: 13.11.2019)
  7. Statistisches Bundesamt: Durchschnittliche Nutzung des Internets durch Personen nach Altersgruppen. 5. September 2019. https://www.­destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Einkommen-Konsum-Lebensbedingungen/IT-­Nutzung/Tabellen/durchschnittl-nutzung-­alter-ikt.html (Zugriff 13.11.2019)
  8. Tamayo T, Brinks R, Hoyer A, Kuß O, Rathmann W: The prevalence and incidence of diabetes in Germany: an analysis of statutory health ­insurance data on 65 million individuals from the ­years 2009 and 2010. Dtsch Arztebl International 2016; 113: 177 – 182
  9. Weiß C, Stubbe J, Naujoks C, Weide S: Digitalisierung für mehr Optionen und Teilhabe im Alter. Bertelsmann Stiftung, Gütersloh, 2017
  10. Zeyfang A, Bahrmann A: Typ-1-Diabetes bei älteren Menschen im Pflegeheim. In: Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG), diabetesDE – Deutsche Diabetes-Hilfe (Hrsg.): Deutscher Gesundheitsbericht Diabetes 2020. Kirchheim, Mainz, 2019: 153 – 156

Autoren:

PD Dr. Anke Bahrmann
Universitätsklinikum Heidelberg, Im Neuenheimer Feld 672, 69120 Heidelberg

Sabine Hochstadt
BBI Gesellschaft für Beratung Bildung Innovation mbH, Gewerbehof Bülowbogen, Bülowstraße 66, 10783 Berlin

Michael Uhlig
contec GmbH, Die Unternehmens- und Personalberatung der Gesundheits- und Sozialwirtschaft, Gesundheitscampus-Süd 29, 44801 Bochum