Dr. Winfried Keuthage

Apps in der Diabetologie

Apps können helfen, das Therapieergebnis bei Diabetes zu verbessern. Mit dem Digitale-Versorgung-Gesetz wird ein wichtiger Schritt in Richtung Digitalisierung in der Diabetologie gemacht. Demnach können Gesundheits-Apps, die als Medizinprodukte anerkannt sind, von Ärzten verordnet und die Kosten von den Krankenkassen erstattet werden.

Smartphones, Tablets und die darauf installierten Applikationen (kurz: Apps) sind aus dem Alltag vieler Menschen nicht mehr wegzudenken. Im vergangenen Jahr haben sich zwei Trends fortgesetzt, die bereits in den Jahren zuvor zu beobachten waren: Während vor Jahren viele Apps „offline“ anwendbar waren, nimmt die Zahl der „Online“-Apps stetig zu, für die bei Nutzung der gesamten Funktionalitäten eine Internetverbindung erforderlich ist. Immer mehr Apps bieten darüber hinaus die Option, sich mit anderen Geräten („Wearables“) über Bluetooth zu verbinden. Dieser Trend ist auch und gerade im Bereich der Diabetestechnologie erkennbar, wie das Beispiel Glukosesensoren zeigt.

Chancen durch digitale Gesundheits­anwendungen

Richtig eingesetzt können Apps helfen, die Behandlung und das Therapieergebnis bei Diabetes zu verbessern. Die Dokumentation von Ernährung, körperlicher Bewegung und Insulindosen beispielsweise erfolgt oftmals mit einem Smartphone leichter als mit einem handschriftlichen Tagebuch. Nicht selten wenden sich Betroffene an Diabetesfachkräfte mit der Bitte, sie bei der Suche nach einer geeigneten App zu unterstützen. Der Bereich Diabetes­technologie war einer der ersten in Deutschland, bei dem sich ein Gütesiegel etabliert hat. Unter dem Namen DiaDigital nimmt eine Gruppe von Diabetesfachkräften und Betroffenen im Rahmen der Arbeitsgemeinschaft Diabetes & Technologie (AGDT) der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) eine inhaltliche Bewertung von Apps zum Thema Diabetes vor. Zum Stichtag 15. Oktober 2019 waren auf der Website acht Apps aufgeführt, die das Siegel ­DiaDigital tragen (www.diadigital.de).

Etabliert: Apps plus CGM

Etabliert ist der Einsatz von Apps insbesondere in Kombination mit der Nutzung eines kontinuierlichen Glukosemesssystems (Continuous Glucose Monitoring, CGM). Immer mehr Anwender nutzen zum Auslesen bzw. Anzeigen der CGM-Daten zusätzlich oder alternativ zum Lesegerät eine kostenlose Smartphone-­App. Diese Apps sind in der Regel cloudbasiert und speichern die Daten auf einem Server des Herstellers. Die Cloud bietet die Möglichkeit, dass der Patient seine Daten mit dem Behandler „teilt“ und so der Behandler online Zugriff auf die Daten erhält. Ebenfalls möglich ist das Teilen der Daten mit beispielsweise Angehörigen oder Freunden. Hierzu stellen die Hersteller „Follower-Apps“ zur Verfügung, die auf dem Smartphone des Followers installiert werden und für die der Patient gezielt seine Daten freigeben kann. Das „Loopen“, die Verbindung von CGM-System und Insulinpumpe in Eigenbau, setzt heutzutage eine speziell dafür entwickelte App voraus.

Krankenkassen pro Lebensstil-Apps

Aktuell übernimmt ein Teil der gesetzlichen Krankenkassen die Kosten einiger Gesundheits-Apps. Dabei liegt der Schwerpunkt auf Apps zu den Themen Ernährung, körperliche Bewegung und gesunder Lebensstil, welche gerade in der Diabetestherapie von großem Interesse sind. Weitere Themengebiete, in denen gesetzliche Krankenkassen die Kosten von Apps übernehmen, sind Tests des Hörvermögens oder Erleichterungen im Zusammenhang mit Tinnitus.

Die Veröffentlichung einer App erfolgt in den meisten Fällen durch Start-up-Unternehmen, Hersteller von Medizinprodukten oder durch Krankenkassen. Die Betreiber der App-Plattformen (­Google Play Store, App Store) prüfen die Apps lediglich auf deren technische Anwendbarkeit. Eine Überprüfung der Funktionalität und insbesondere des Inhalts erfolgt durch den Plattformbetreiber nicht.

DVG: das „Digitale-Versorgung-Gesetz“

Aktuell intensivieren Gesetzgeber und Behörden die Anstrengungen, das Angebot an Gesundheits-Apps zu regulieren. In dem am 1. Januar 2020 in Kraft getretenen „Digitale-­Versorgung-Gesetz“ (DVG) finden sich auch Ausführungen zum Thema Apps. Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) verfolgt nach eigenen Angaben mit dem DVG das Ziel, die rechtlichen Bedingungen in Bezug auf die Digitalisierung anzupassen und die Versorgung von Patienten zu verbessern. Um digitale Gesundheitsanwendungen für Ärzte und Patienten bekannter und finanziell attraktiver zu machen, möchte das BMG die gesetzlichen Krankenversicherungen zur Kostenübernahme von Apps bewegen.

Die Bundesärztekammer (BÄK) begrüßt nach eigener Aussage die Initiative des BMG, digitale Anwendungen und Innovationen in die Patientenversorgung einzubringen. Allerdings sollten nach Auffassung der BÄK Ärzte die Apps fachlich bewerten und eine Liste mit empfehlenswerten Apps erstellen [Bundesärztekammer 2019]. Das DVG sieht allerdings die Überprüfung von Apps ausschließlich durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) vor. In Großbritannien veröffentlicht der National Health Service (NHS) online unter www.nhs.uk/apps-library eine Liste mit empfohlenen Gesundheits-Apps.

DVG: Verfahren zur Aufnahme ­einer App in das Verzeichnis „Digitale ­Gesundheitsanwendungen“

Neue Medizinprodukte-Verordnung

Aktuell sind zahlreiche Gesundheits-Apps verfügbar, bei denen der Status als Medizinprodukt ungeklärt ist. Nach der noch geltenden Medizinprodukte-Richtlinie (Medical Device ­Directive, MDD) haben die Hersteller einen weitgehenden Ermessensspielraum, ob eine App als Medizinprodukt eingruppiert und zertifiziert wird. Dies ändert sich grundlegend: Ab dem 26. Mai 2020 verliert die MDD ihre Gültigkeit und die bisher parallel gültige Medizinprodukte-Verordnung (Medical Device Regulation, MDR) [EU 2017] wird allein maßgeblich sein. Damit wird die EU-Medizinprodukte-Verordnung EU 2017/745 in deutsches Recht umgesetzt.

Viele Gesundheits-Apps fallen in Risiko­klasse IIa oder höher

In der MDR findet sich in der Regel 11 des Kapitels III in Anhang VIII die Einstufung von Software-Lösungen in Risikoklassen, worunter auch Apps fallen. Nach der MDD wurden Apps überwiegend in Risikoklasse I eingestuft und konnten ohne Qualitätsmanagementsystem auf den Markt gebracht werden. Regel 11 der neuen MDR dagegen besagt: „Software, die dazu bestimmt ist, Informationen zu liefern, die zu Entscheidungen für diagnostische oder therapeutische Zwecke herangezogen werden, gehört zur Klasse IIa“ [Anh. VIII Kapitel III MDR]. Darüber hinaus legt die MDR fest, dass Apps, die zum Tod oder zu einer irreversiblen Verschlechterung führen könnten, in die Risikoklasse III eingestuft werden müssen.

Aufgrund der höheren Klassifizierung muss ein Qualitätsmanagement aufgebaut werden, welches einen gesteigerten finanziellen und zeitlichen Aufwand für Entwickler bedeutet. Folglich wird es vor allem für Start-up-Unternehmen und kleinere Hersteller immer schwieriger, Apps zu entwickeln und auf den Markt zu bringen. In diesem Zusammenhang bietet das BfArM Beratungen für Hersteller an, die digitale Gesundheitsanwendungen im Rahmen eines Medizinproduktes entwickeln möchten [Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte 2019].

Viele Gesundheits-Apps werden ­verschwinden

Die Zertifizierung eines Medizinproduktes für die Risikoklasse IIa und höher hat durch eine zugelassene Zertifizierungsstelle (z. B. TÜV Süd) zu erfolgen. Nach aktuellem Stand ist es möglich, dass bis Mai 2020 nicht ausreichend Zertifizierungsstellen zur Verfügung stehen und es in der Folge zu verlängerten Bearbeitungszeiten kommt. In jedem Fall ist davon auszugehen, dass die Hersteller vieler Gesundheits-Apps den Weg zum Medizinprodukt im Rahmen der MDR scheuen werden und zahlreiche Gesundheits-Apps aus den App-Stores verschwinden werden.

Auf den Schutz der Daten achten

Daten, die in Gesundheits-Apps gespeichert werden, sind sensible Daten. Meist ist zumindest die Angabe von Alter, Geschlecht, Größe, Gewicht und E-Mail-Adresse vorgesehen. Bei Apps, die die körperliche Aktivität dokumentieren, ist ebenfalls der Zugriff auf den Standort notwendig. Durch die Kombination dieser Informationen sind Rückschlüsse auf Lebensstil und Tagesverlauf möglich. Nicht zuletzt durch die Datenschutz-Grundverordnung (­DSGVO) [EU 2016] sind die Vertreiber von Apps verpflichtet, die Anwender über die Nutzung der Daten transparent aufzuklären. Die Nutzer haben das Recht, Auskunft über die in der App gespeicherten Daten zu bekommen. Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit empfiehlt Nutzern von Gesundheits-Apps, die Datenschutzerklärung in der App zu prüfen und auf Apps, die als Medizinprodukt anerkannt sind, zurückzugreifen [Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit 2019].

Studien zur Anwendung von Apps …

Download-Zahlen in den App-Stores von ­Apple und Google zeigen an, wie häufig eine App auf einem Smartphone installiert wurde. Kaum bekannt ist jedoch, ob und wie oft eine App tatsächlich genutzt wird. In einer aktuell publizierten Studie wurden Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen und/oder Diabetes befragt, ob sie Gesundheits-Apps nutzen und wie sie diese beurteilen [Ernsting 2019]. In der Studie nutzte von den Befragten jeder Vierte eine Gesundheits-App. Jüngere Studienteilnehmer nutzen Apps häufiger als ältere und Frauen häufiger als Männer. Die Autoren der Studie vermuten, dass dies auf ein grundsätzlich gesundheitsbewussteres Verhalten von Frauen zurückzuführen ist.

Eine weitere aktuell publizierte Studie fand heraus, dass Patienten mit Typ-1- oder Typ-2-Dia­betes, die Apps einsetzten, im Vergleich mit den Nicht-App-Nutzern ein grundsätzlich besseres Selbstmanagement ihrer Erkrankung Dia­betes zeigen [Kebede 2019]. Dies war unabhängig von Geschlecht, Alter und Bildungsgrad. Bei Befragung gaben die Teilnehmer an, dass insbesondere die Dokumentation von Blutglukosewerten und Ernährungsverhalten per App hilfreich sei.

… mit unterschiedlichen Ergebnissen

In einer Metaanalyse mit 18 Studien waren Apps zur Lebensstiloptimierung bei Typ-2-Dia­betes wirksam in Bezug auf die Verbesserung der Stoffwechsellage [Wu 2019]. Demgegenüber war in der Studie bei Typ-1-Diabetes, Gesta­tionsdiabetes und Prädiabetes kein signifikanter Effekt auf den HbA1c-Wert festzustellen. In den Apps wurde schwerpunktmäßig auf körperliche Aktivitäten und Ernährung abgestellt. Applikationen für Typ-1-Diabetiker beschäftigten sich zusätzlich mit Glukoseverlauf, Insulinberechnung und Medikamentengabe. Die Studie betrachtete einen Zeitraum von zwölf Monaten, wobei die Autoren einen längeren Untersuchungszeitraum forderten.

Ein amerikanischer Review untersuchte 15 Studien mit 11 verschiedenen Apps, welche sich sämtlich auf die Diabetestherapie beziehen [Veaezie 2018]. Fünf Applikationen konnten eine signifikante Senkung des HbA1c-Werts bewirken. Dabei handelte es sich um zwei Apps für Patienten mit Typ-1-Dia­betes und drei Apps für solche mit Typ-2-Diabetes. Im Zusammenhang mit keiner der untersuchten Apps konnte eine Verbesserung der Lebensqualität, des Gewichts oder des Blutdrucks festgestellt werden. Die Reviewer kritisierten die kurze Studiendauer. Außerdem kann durch die zusätzliche persönliche Behandlung von Diabetologen oder Diabetesfachkräften der Effekt der App nicht losgelöst bewertet werden.

Fazit

Die Chancen und Möglichkeiten digitaler Gesundheitsanwendungen in der Diabetologie steigen. Insbesondere die Verbindung mit medizinischen Devices (wie Glukosesensoren) eröffnet die Möglichkeit, Daten in einer Cloud zu speichern und mit anderen Menschen zu teilen. Mit dem Digitale-­Versorgung-­Gesetz wird ein wichtiger Schritt in Richtung Digitalisierung in der Diabetologie gemacht. Demnach können Gesundheits-Apps, die als Medizinprodukte anerkannt sind, von Ärzten verordnet und die Kosten von den Krankenkassen erstattet werden. Die ab dem 26. Mai 2020 allein maßgebliche Medizinprodukte-Verordnung wird erhebliche Auswirkungen auf das In-den-Verkehr-Bringen von Gesundheits-Apps haben. Zahlreiche Gesundheits-Apps werden dann als Medizinprodukt mit der Risikoklasse IIa oder höher eingestuft werden und ein aufwendiges Zertifizierungsverfahren durchlaufen müssen. Es gibt einige aktuelle Studien, die einen positiven Effekt von Apps auf das Management des Diabetes belegen. Aufgrund der dynamischen Entwicklung im Bereich digitaler Gesundheitsanwendungen sind die eigentlich erforderlichen Langzeitstudien zum Belegen der Evidenz für die Nutzung von Apps schwer durchzuführen.


Quellen:

  1. Bundesärztekammer: Stellungnahme der Bundesärztekammer zum Referentenentwurf des Bundesministeriums für Gesundheit eines Gesetzes für eine bessere Versorgung durch Digitalisierung und Innovation (Digitale Versorgung-Gesetz – DVG) vom 15.05.2019. https://www.­bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/downloads/pdf-Ordner/Stellungnahmen/DVG-­RefE.pdf (Zugriff: 30.11.2019)
  2. Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte: Beratung durch das BfArM. https://www.bfarm.de/DE/BfArM/OrganisationAufgaben/­Beratungsverfahren/_node.html (Zugriff: 07.10.2019)
  3. Bundesministerium für Gesundheit: Ärzte sollen Apps verschreiben können. Stand: 03. Dezember 2019. https://www.­bundesgesundheitsministerium.de/digitale-­versorgung-gesetz.html?fbclid=­IwAR3fF1YE9CMg0HfFKPLF3N6iaTmUxyONNob20IgFhpX1Bx_aps_hdfeg6Fw (Zugriff: 05.12.2019)
  4. Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (Hrsg.): Gesundheits-Apps. Bonn, 2019. https://www.bfdi.bund.de/SharedDocs/Publikationen/Faltblaetter/­Gesundheitsapps.pdf?__blob=publicationFile&v=7 (Zugriff: 30.11.2019)
  5. DiaDigital: DiaDigital – DiaApps. https://www.­diadigital.de (Zugriff: 15.10.2019)
  6. Ernsting C, Stühmann LM, Dombrowski SU, Voigt-Antons JN, Kuhlmey A, Gellert P: Associations of health app use and perceived effectiveness in people with cardiovascular diseases and diabetes: population-based survey. JMIR Mhealth Uhealth 2019; 7: e12179
  7. EU: Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung). https://eur-lex.europa.
    eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:
    32016R0679&from=EN (Zugriff: 14.10.2019)
  8. EU: Verordnung (EU) 2017/745 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 05. April 2017 über Medizinprodukte, zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG, der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 und der Verordnung (EG) Nr. 1223/2009 und zur Aufhebung der Richtlinien 90/385/EWG und 93/42/EWG des Rates. ­https://eur-lex.­europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:
    32017R0745&from=DE (Zugriff: 17.10.2019)
  9. Kebede MM, Pischke CR: Popular diabetes apps and the impact of diabetes app use on self-care behaviour: a survey among the digital community of persons with diabetes on social media. Front Endocrinol (Lausanne) 2019; 10: 135
  10. National Health Service: NHS Apps Libary. https://www.nhs.uk/apps-library/ (Zugriff: 08.10.2019)
  11. Veazie S, Winchell K, Gilbert J, Paynter R, Ivlev I, Eden K, Nussbaum K, Weiskopf N, Guise JM, Helfand M: Mobile applications for self-management of diabetes. Technical Brief Number 31. 2018. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK518944/pdf/Bookshelf_NBK518944.pdf (Zugriff: 30.11.2019)
  12. Wu X, Guo X, Zhang Z: The efficacy of ­mobile ­phone apps for lifestyle modification in diabetes: systematic review and meta-analysis. JMIR ­Mhealth Uhealth 2019; 7: e12297

Autor:

Dr. Winfried Keuthage
Schwerpunktpraxis für Diabetes und Ernährungsmedizin, MedicalCenter am Clemenshospital, Düesbergweg 128, 48153 Münster