Dr. Winfried Keuthage

Apps in der Diabetologie

Die Zahl der Applikationen für Smart­phone und Tabletcomputer (kurz: Apps), die sich mit dem Thema Diabetes beschäftigen, wächst stetig – und mit ihr die Zahl der Nutzer. Auch für Diabetologen und Diabetesfachkräfte wird das Thema Apps immer wichtiger.

Blutzuckermessgeräte, Computer und Smartphones sind heute kabellos verbindbar.

Die Nutzung von Smartphones hat enorme Veränderungen unseres Alltags zur Folge. So findet beispielsweise die private Kommunikation vieler Menschen zunehmend über das Smart­phone statt. Das Smartphone ist ein alltäglicher Begleiter geworden und erfüllt Aufgaben, für die bislang viele unterschiedliche Geräte erforderlich waren: Uhr, Kalender, Radio, Kamera, Spiele usw. Verständlicherweise möchten auch chronisch Kranke beim Thema Gesundheit von Apps profitieren.

Etwa 5 Prozent aller Apps beschäftigen sich mit den Themen Gesundheit, Fitness und Medizin. Dies entspricht in absoluten Zahlen mehr als 200000 Apps. Der Erwerb von Apps erfolgt, indem diese je nach Betriebssystem von einer der beiden größten App-Plattformen Apple/iOS und Google/Android „heruntergeladen“ werden. Die meisten Apps sind für beide Betriebssysteme zu erhalten, einige aber auch nur für entweder das eine oder das andere. Fast alle Apps sind für die Verwendung auf Smart­phones entwickelt, viele sind aber auch für Tabletcomputer (kurz „Tablets“) geeignet.

Patienten suchen und finden selbstständig Apps zum Thema Diabetes. Zum Teil sprechen sie den Arzt oder die Diabetesfachkraft eigen­initiativ auf das Thema Apps an. In Anbetracht der enormen Zahl an Apps ist es schwierig, dass Therapeuten den Überblick über die Angebote erlangen bzw. aufrechterhalten. Inhaltliche Richtigkeit sowie Sinnhaftigkeit einer App sind nicht immer leicht zu erkennen.

Tabelle 1: Anwendungsmöglichkeiten von Apps in der Diabetologie

  • Informationen über das Krankheitsbild ­Diabetes
  • Ernährungsinformationen
  • Unterstützung bei der Berechnung des ­Insulinbolus
  • Unterstützung bei der Antizipation des zu erwartenden Zuckerverlaufs
  • Dokumentation von Zuckerwerten, Ernährung, Insulin, Ereignissen
  • Übertragung von Werten aus Zuckermessgeräten, Insulinpens und Insulinpumpen
  • Anpassen von Einstellungen von Zuckermessgeräten und Insulinpumpen
  • Steuerung von Insulinpumpen

Apps und Telemedizin

Zentraler Bestandteil der Therapie bei Diabetes ist das Erheben und Dokumentieren krankheitsassoziierter Parameter – wie Zuckerwerte, Insulindosen und Ernährung. Das Führen eines handschriftlichen Diabetestagebuchs allerdings ist mit einem erheblichen Aufwand verbunden und ist bei vielen Patienten nicht beliebt. Die Dokumentation in einer App kann als Alternative angeboten werden.

Die mittels App erhobenen Daten sind bereits digital gespeichert und können mit geringem Aufwand auf digitalem Weg an den Therapeuten übertragen werden. Der Besuch in der Praxis bzw. ein persönlicher Kontakt ist nicht mehr zwingend erforderlich. Die in der Folge erreichbare Verbesserung des Therapiemanagements kann die Compliance der Patienten fördern [Häcker 2008].

Wearables

Doch nicht nur die Anzahl der Apps wächst stark, sondern auch die Anzahl an Wearables, welche sich mit Apps verbinden. Wearables ist die Abkürzung für Wearable Computer. Dies bedeutet übersetzt tragbare Computer und beschreibt Geräte, die am Körper oder in der Kleidung getragen bzw. befestigt werden – wie Smart­phones, Smartwatches oder Fitnessarmbänder.

Cloudbasierte Apps

Nur sehr wenige Diabetes-Apps arbeiten vollständig offline, d. h. dass für deren Nutzung keine Internetverbindung erforderlich ist. Der Vorteil der Offline-Version ist, dass die Daten des Nutzers auf dessen Smartphone verbleiben und die Datensicherheit somit sehr hoch ist.
Demgegenüber setzen cloudbasierte Apps voraus, dass zumindest bei einem Teil der Funktionen eine Internetverbindung besteht. Die von den Nutzern angelegten Daten werden nicht oder nur zu einem Teil auf dem Smartphone gespeichert, sondern internetbasiert auf einem Server des App-Betreibers. Vorteil der cloudbasierten Anwendungen ist, dass die Daten auch für den Fall gespeichert sind, dass das Smart­phone defekt ist oder verloren wurde. Diese Art der Datenspeicherung ist mittlerweile ein gängiges Verfahren und betrifft die meisten Apps. Dadurch, dass von unterschiedlichen Endgeräten auf die Daten (gleichzeitig) zugegriffen werden kann, eröffnen diese Anwendungen die Möglichkeit, dass die Nutzer den Therapeuten Einblick in die Daten der Cloud gewähren („Daten teilen“). Bei Apps und onlinebasierten Plattformen, welche unterschiedliche Zugänge für Patienten und Fachpersonal anbieten, sollte die Aufforderung zur Verknüpfung möglichst vom Patienten ausgehen.

Wie wird Datensicherheit gewährleistet?

Individuelle Erstellung einer Mahlzeit zur Nährwertberechnung mit der App DiaCarbs.

Der digitale Austausch gesundheitsbezogener Daten (wie Medikamenteneinnahme) stellt hohe Anforderungen an die Datensicherheit. Trotz Verschlüsselung erfüllen viele Apps beim Datenaustausch die erforderlichen Kriterien nicht. Auch die Kommunikation mittels (unverschlüsselter) E-Mails beispielsweise gilt nicht als sicherer Übertragungsweg.

Viele gesundheitsbezogene Apps fordern als Voraussetzung für die Nutzung die Angabe von Alter, Geschlecht, Größe, Gewicht, E-Mail-­Adresse usw. Bei einigen wird auch nach der Erlaubnis zum Zugriff auf Kamera, Standort und weitere Funktionen gefragt. Nach der im Jahr 2018 in Kraft getretenen EU-Datenschutzgrundverordnung müssen App-Anbieter darüber aufklären, wie persönliche Daten der Nutzer gespeichert und weiterverarbeitet werden. Wenn Therapeuten aktiv die Nutzung von Apps empfehlen, sollten diese in der Regel auch über datenschutzrechtliche Aspekte aufklären.

Welche Qualitätsstandards gibt es?

Die Veröffentlichung von Apps ist aktuell weitgehend unreguliert. Entwickler von Apps sind in den meisten Fällen Start-up-Unternehmen, Hersteller von Medikamenten und Medizinprodukten und Krankenkassen. Nur sehr selten sind dies Ärzte oder Diabetesfachkräfte. Nach Fertigstellung einer App wird diese beim Betreiber der App-Plattform (Google Play Store, App ­Store iOS, Windows Phone Store) eingereicht. Der Plattform-Betreiber prüft die App lediglich auf deren technische Anwendbarkeit. Eine Überprüfung der Funktionalität und insbesondere des Inhalts erfolgt durch den Plattform-Betreiber nicht.

Die Informations- und Bewertungsplattform HealthOn der Initiative Präventionspartner untersucht ein weites Feld an Gesundheits-Apps anhand diverser Kriterien [HealthOn]. Weitere Kriterien zur Qualität von Apps wurden vom Zentrum für Telematik und Telemedizin ­GmbH (ZTG) unter www.appcheck.de zusammengestellt [ZTG]. Vom Peter L. Reichertz Institut für Medizinische Informatik (PLRI) wurde eine „App-Synopsis“, ein standardisiertes Berichtsformat für Hersteller von Gesundheits-Apps, sowie eine dazugehörige Checkliste für die Nutzer entwickelt [Peter L. Reichertz Institut für Medizinische Informatik].

Trotz Verschlüsselung erfüllen viele Apps beim Datenaustausch die Anforderung an die Datensicherheit nicht.

Das Aktionsforum Gesundheitsinformationssystem (afgis) befasst sich mit der Frage, inwiefern Gesundheits-Apps barrierefrei, benutzerfreundlich und verständlich gestaltet sind [Aktionsforum Gesundheitsinformationssystem (afgis): Standards].

Zudem hat das Aktionsforum ein „Gesundheits-App Fact Sheet“ mit einer Liste von Angaben, die Produzenten von Gesundheits-Apps bereitstellen sollten, herausgebracht [Aktionsforum Gesundheitsinformationssystem (afgis): Gesundheits-Apps].

Tabelle 2: Kriterien für die Beurteilung einer App

  • Der Zweck der App ist klar beschrieben.
  • Es gibt eine Kennzeichnung, ob es sich um ein Medizinprodukt handelt oder nicht.
  • Der Informationsgehalt der App ist korrekt und auf dem aktuellen Stand.
  • Die Datenschutzrichtlinien werden aufgeführt.
  • Auf ggf. bestehende Werbepolitik wird hingewiesen bzw. ggf. vorhandene Finanzierungsquellen werden vollständig genannt.
  • Ein Impressum ist vorhanden und leicht zu finden.
  • Der Verantwortliche ist inkl. seiner Qualifikation angegeben.
  • Es wird ein Ansprechpartner für gesundheitsbezogene Informationen der App genannt bzw. es gibt ein Kontaktformular.

eigene Darstellung

DiaDigital: unabhängiges Diabetes-App-Siegel

App-Siegel der Initiative DiaDigital [DiaDigital].

DiaDigital ist eine Initiative der Arbeitsgemeinschaft Diabetes & Technologie (AGDT) der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG). Die DiaDigital-Gruppe besteht aus Patienten, Angehörigen sowie Gesundheitsfachkräften und hat Kriterien zur inhaltlichen und funktionellen Überprüfung von Diabetes-Apps entwickelt. Anhand dieser Kriterien werden Diabetes-Apps auf ihre Funktionalität und inhaltliche Richtigkeit hin untersucht.
Unter anderem wurde das Siegel für die Apps NutriCheck, meinDiabetes, lumind, SiDiary und MyTherapy vergeben. Die Bewertung weiterer Apps steht aus und ist auch auf die Mithilfe vieler freiwilliger Tester angewiesen. Weitere Informationen unter https://diadigital.de.

Tabelle 3: Wie ist das Verfahren, nach dem das DiaDigital-Siegel vergeben wird?

  1. Der App-Hersteller bewirbt sich um das Siegel und füllt eine Selbstauskunft zu der App aus, jeweils eine für iOS und Android.
  2. Das Zentrum für Telematik und Telemedizin in Bochum (ZTG) nimmt eine technische Überprüfung vor und erstellt einen Bericht.
  3. Die Bewertung wird auf dieser Plattform eingestellt, die registrierten App-Tester werden informiert und können ihre individuelle Bewertung vornehmen.
  4. In einer Telefonkonferenz, an der alle Tester teilnehmen können, wird überprüft, ob die App alle wichtigen Kriterien erfüllt. Die Ergebnisse der Tester werden in einem Fazit zusammengefasst. Die App wird mit der Selbstauskunft, dem Ergebnis der technischen Überprüfung und dem Fazit im Bereich „zertifizierte Apps“ veröffentlicht.

[DiaDigital]

DiMAPP: Befragung zur Nutzung von ­Diabetes-Apps

Die Initiative HealthOn hat in der Zeit von Dezember 2015 bis Februar 2016 online Menschen mit Diabetes nach ihrem aktuellen Umgang mit Apps zum Thema Diabetes befragt (DiMAPP). Aus den 449 eingegangenen Fragebögen wird deutlich, dass technische Hürden die Nutzer kaum von der Nutzung einer App abhalten, unabhängig vom Alter. Weit verbreitet ist dagegen die Sorge vor dem Ausspähen von Gesundheitsdaten [Kramer 2016].

Tabelle 4: Nach welchen Kriterien überprüft das ZTG Apps?

  • Erfolgt die Übertragung der Daten über eine gesicherte https-Verbindung?
  • Funktionieren die Apps grundsätzlich auf den beiden größten App-Plattformen?
  • An welchen Standort werden insbesondere personenbezogene Daten gesendet?
  • Ist die App frei von potenziell vorhandenen Bedrohungen wie Spyware (Spähprogramm, Schnüffelsoftware), Malware (Schadprogramme) und Viren?

[https://appcheck.de/technische-pruefung/]

Studien zur Wirksamkeit von Apps

In der Studie „Chances and Risks of ­Mobile ­Health Apps” (CHARISMHA) konnte 2016 kein Nachweis für den Nutzen von Gesundheits-Apps geführt werden [Albrecht 2016].

Demgegenüber wurde in einer Metaanalyse von 13 randomisierten, kontrollierten Studien (RCTs) aus dem Zeitraum 2008 bis 2016 von einem positiven Effekt von Diabetes-Apps auf den HbA1c-Wert berichtet. Bei 6 von 13 RCTs zeigte sich in den Interventionsgruppen eine statistisch signifikante Reduktion der HbA1c-Werte (p < 0,05) [Bonoto 2017]. In einer retrospektiven Datenanalyse zur Nutzung der App „Glooko Mobile“ fand sich durch die Nutzung der mobilen Plattform ein Anstieg in der Häufigkeit der Blutzuckermessung. Im Vergleich zur Kontrollgruppe waren die durchschnittlichen Zuckerwerte niedriger und es traten seltener Hyperglykämien auf [Offringa 2018].

Fazit

Die Zahl an Diabetes-Apps wächst stetig und mit ihr die Zahl der Nutzer. So nimmt auch die Zahl derer zu, die sich an die Diabetologen oder Diabetesfachkräfte wenden und gezielt nach empfehlenswerten Apps fragen. Für Dia­betologen und Diabetesfachkräfte ergeben sich Möglichkeiten, Diabetes-Apps aktiv in die Beratung einzubauen. Wenn Patienten ein Dia­betestagebuch mittels App führen, kann dies die Therapieadhärenz verbessern. Nicht zuletzt können Apps den Informationsaustausch zwischen Patienten und Diabetologen oder Diabetesfachkräften erleichtern. Zweifelsohne ersetzen Diabetes-­Apps – ähnlich wie andere digitale Medien – nicht die persönliche Betreuung durch Diabetologen und Diabetesfachkräfte. Für die Zukunft wäre es wünschenswert, wenn vermehrt Angebote entwickelt würden, welche digitale Kommunikation mit der persönlichen Betreuung in Einzel- und Gruppengesprächen kombinieren.


Quellen:

  1. Aktionsforum Gesundheitsinformationssystem (afgis): Gesundheits-Apps. https://www.afgis.de/standards/gesundheits-app-fact-sheet (Zugriff: 15.05.2016)
  2. Aktionsforum Gesundheitsinformationssystem (afgis): Standards. https://www.afgis.de/standards (Zugriff: 15.05.2016)
  3. Albrecht UV (Hrsg.): Chancen und Risiken von Gesundheits-Apps (CHARISMHA); engl. Chances and Risks of Mobile Health Apps (CHARISMHA). Medizinische Hochschule Hannover, 2016
  4. Bonoto BC, de Araújo VE, Godói IP, de Lemos LL, Godman B, Bennie M, Diniz LM, Junior AA: Efficacy of Mobile Apps to Support the Care of Patients With Diabetes Mellitus: A Systematic Review and Meta-Analysis of Randomized Controlled Trials. JIMIR Mhealth Uhealth 2017; 5: e4
  5. DiaDigital: DiaDigital – Apps. https://diadigital.de (Zugriff: 18.11.2018)
  6. Häcker J, Reichwein B, Turad N: Telemedizin. Markt, Strategien, Unternehmensbewertung. De Gruyter Oldenbourg, Berlin, 2008: 15-19, 71
  7. HealthOn: HealthOn-App Ehrenkodex für Gesundheits-Apps. https://www.healthon.de/de/ehrenkodex (Zugriff: 30.07.2018)
  8. Kramer U, Zehner F: Diabetes-Management mit APPs: Derzeitige & zukünftige Nutzung, Einstellungen, Erfahrungen und Erwartungen von Betroffenen. Online-Befragung von Diabetikern. Diabetologie 2016; 11 (Suppl 1): P118
  9. Offringa R, Sheng T, Parks L, Clements M, Kerr D, Greenfield MS: Digital Diabetes Management Application Improves Glycemic Outcomes in ­People With Type 1 and Type 2 Diabetes. J Diabetes Sci Technol 2018; 12: 701-708
  10. Peter L. Reichertz Institut für Medizinische Informatik: App-Synopsis. https://plri.de/forschung/projekte/app-synopsis (Zugriff: 15.05.2016)
  11. ZTG Zentrum für Telematik und Telemedizin ­GmbH: AppCheck – Die Informations- und Bewertungsplattform für Gesundheits-Apps. https://appcheck.de (Zugriff: 30.07.2018)

Autor:

Dr. Winfried Keuthage
Schwerpunktpraxis für Diabetes und Ernährungsmedizin, MedicalCenter am Clemenshospital, Düesbergweg 128, 48153 Münster